Der Leichenkeller
an die Bar zurückkam. »Haben Sie Hunger?«
Ich wärmte meine Hände am Feuer. »Es ist draußen so kalt geworden. Nein danke. Vielleicht, wenn mir etwas wärmer ist.«
»Ich wird mir ein Ossobuco genehmigen«, verkündete Mike. »Und als Vorspeise einen Artischockendip. Mercer?«
»Ich hab zu Hause gegessen. Hau rein.«
»Also, jetzt beschreib ihn mal!«
»Kann ich nicht.«
»Hast du ihn denn nicht gesehen?«
»Sein Gesicht? Nein.«
»Na, war es ein Weißer oder ein Schwarzer oder –«
»Ich weiß es nicht.«
»Hör bloß auf mit dem farbenblinden Scheiß«, sagte Mike. »Ich hasse es, wenn meine Zeugen das tun.«
Mercer lachte. »Sie hat sein Gesicht nicht gesehen.«
»Was ist mit den Händen?«
»Handschuhe.«
»Ich hab dir verdammt noch mal einen Schirm gegeben. Warum zum Teufel hast du nicht als Erste zugeschlagen?«
»Weil ich ihn für einen betrunkenen Penner hielt, der mir aus Versehen zu nahe auf die Pelle gerückt war. Oder mich um Geld anhauen wollte.«
»Du hättest ihm die Schirmspitze in den Hintern rammen sollen, den Schirm aufmachen und ihn wie Mary Poppins davonfliegen lassen sollen. Schade um die vertane Chance.«
»Erzähl ihm von der Hose und den Schuhen«, sagte Mercer.
»Marineblaues Wollgabardine, fein säuberlich geplättete Uniformhosen mit Bügelfalte. Und Polizeischuhe.«
»Willst du damit sagen, dass es ein Cop war?«
»Oder ein Feuerwehrmann. Oder irgendein anderer uniformierter Stadtbeamter, mit Ausnahme eines Verkehrsbeamten.«
»Bist du in letzter Zeit irgendjemandem auf den Schlips getreten?«
»Das Einzige, was mir einfällt, ist, dass ich neulich einen Sergeant der Strafvollzugsbehörde in den Bau geschickt habe. Er hat drüben im Bayview eine Gefangene geschwängert.«
»Gib uns seinen Namen, und wir klemmen uns dahinter.«
»Laut Aussage des Opfers stecken mindestens fünf Wärter mit unter der Decke. Sie decken sich gegenseitig, teilen die neuen Häftlinge unter sich auf und verlangen Schutzgeld.«
Mercer verfolgte eine andere Spur. »Hat Mrs. Gatts vielleicht Verwandte in dem Bereich?«
Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts über sie.«
»Nun, dann wollen wir da mal ein bisschen nachforschen.«
»Du jonglierst zurzeit mit zu vielen Bällen, Coop, und einige haben’s in sich.«
»Wisst ihr was?«, sagte ich. »Falls der Tripping-Fall am Mittwoch tatsächlich abgeschlossen ist, fliege ich nach Martha’s Vineyard und sitze den Sturm dort aus. Feuer im Kamin, Hummer zum Abendessen –«
»Mit Jake?«, fragte Mike.
»Mit oder ohne Jake. Ihr seid alle eingeladen.«
»Du würdest bei dem Wetter fliegen?«, fragte Mike, der Flugangst hatte.
»Falls die Piloten fliegen, bin ich mit von der Partie. Wenn sie entscheiden, am Boden zu bleiben, beuge ich mich ihrem Urteil. Ich muss das Haus dichtmachen. Mein Hausmeister ist nicht da, weil er zur Hochzeit seines Bruders geflogen ist. Überlegt es euch, Jungs. Wir könnten die Herbstsaison mit einem gemeinsamen Wochenende auf dem Land einläuten.« Ich würde mich dort sogar bei schlechtem Wetter entspannen können.
»Das müsst ihr zwei unter euch ausmachen«, sagte Mike und widmete sich seinem Ossobuco.
»Zuerst«, sagte Mercer, »müssen wir herausfinden, ob dieser unangenehme Zwischenfall etwas mit Paige Vallis zu tun hat –«
»Oder mit Queenie«, sagte Mike.
»Oder einem anderen Schurken aus meinem großen, ständig wachsenden Fanclub.«
»Hast du den Typ schon während des Gottesdienstes in der Kirche gesehen?«
»Nein. Ich habe ihn erst beim Hinausgehen bemerkt. Jedenfalls ist mir drinnen niemand aufgefallen, der so gekleidet war wie er.«
Mike stocherte mit einer winzigen Gabel in dem Knochenmark herum. »Vielleicht ist er dir vom Gerichtsgebäude aus gefolgt.«
»Das hätte sie doch gemerkt.«
»Coop? Unter meinem großen, dicken Golfschirm kriegt sie doch nicht mit, dass ihr irgend so ein Dödel hinterherläuft. Falls er ihr von der Centre Street gefolgt ist, würde das die Uniformhosen erklären, und warum derjenige wusste, wo er auf sie warten musste«, sagte Mike.
Ich knabberte an einer Brotstange und nippte an meinem Scotch. Lumi hatte eine kleine Schüssel Risotto gebracht, und ich machte mich darüber her, da mir jetzt doch der Magen knurrte. »Wisst ihr, was ich morgen tun werde? Ich werde mir von Battaglia ein FOIA-Gesuch an die CIA absegnen lassen.«
»Ist es nicht herrlich, wenn sie denkt, Mercer?« Mike reckte die Nase in die Luft und
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