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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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gerade den Motor wieder anlassen, als sich die Tür öffnete. Umrahmt von der dunklen Türöffnung, verharrte Nygren unbeweglich auf der Schwelle. Vom Hund war nichts zu sehen. Also gut, dann stieg sie eben wieder aus und redete mit ihm.
    Sie verließ ihren sicheren Wagen und ging zögerlich auf ihn zu. Aus dem Inneren des Hauses hörte sie ein gedämpftes Bellen. Trotzdem fragte sie: »Ist er eingesperrt? Ich habe Angst vor aggressiven Hunden.«
    »Er ist nicht aggressiv, er tut nur seinen Job«, entgegnete Nygren.
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    Eine idiotische Antwort, wie sie fand. »Wenn er auf mich losgeht, habe ich gar nichts davon, dass er nur seinen Job erledigt«, sagte sie gereizt.
    Nygren ging darauf nicht ein.
    »Ich komme gerade von Nils Hallman«, sagte sie. »Sind Sie schon darüber informiert worden, dass er nicht zur Arbeit kommen kann?«
    »Nein.«
    »Er hat sich den Fuß verstaucht. Außerdem ist er am Knie verletzt. Vermutlich wird er mehrere Tage lang nicht arbeiten können.«
    »Ach so?«
    »Er macht sich Sorgen darum, wer jetzt die Schweine versorgt.
    Sie haben doch sicher keine Zeit, sich auch noch darum zu kümmern …«
    Keine Antwort. Katharina hatte mittlerweile ein beklemmendes Gefühl. Er schaute gedankenverloren an ihr vorbei, als gingen ihn ihre Worte überhaupt nichts an. Er schien weitaus wichtigere Dinge im Kopf zu haben als die Schweine.
    Außerdem war er unrasiert und sah hohlwangig aus. So, als hätte er seit mehreren Nächten nicht mehr geschlafen. Ihr Besuch kam ihm offensichtlich sehr ungelegen.
    »Vielleicht könnte Kalle Svanberg Ihnen helfen?«, fügte sie hinzu, um ihn endlich aus der Reserve zu locken.
    »Vielleicht …«, entgegnete er gleichgültig.
    Mehr gab es nicht zu sagen. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt und konnte nach Hause fahren. Doch sie blieb unschlüssig stehen.
    Irgendetwas war hier faul. Sie musterte ihn eingehend. Er wirkte völlig apathisch. Seine Augen waren sonderbar verschleiert, sein Gesicht ausgezehrt. Über sein Aussehen ließe sich einiges sagen, doch gehörte schon viel Fantasie dazu, um es 413

    sympathisch zu finden, wie Astrid es getan hatte. Der Hund war verstummt, und Katharinas Selbstbewusstsein zurückgekehrt.
    Aufs Geratewohl sprach sie das Erste aus, das ihr durch den Kopf ging: »Es gibt Gerüchte, Sie hätten einen neuen Vorarbeiter eingestellt.«
    Plötzlich schien er voll konzentriert und schaute sie durchdringend an. »Was für Gerüchte?«
    Katharina fühlte sich bei einer groben Übertreibung ertappt und ruderte zurück.
    »Gerüchte ist vielleicht übertrieben«, sagte sie. »Vermutlich handelt es sich um ein Missverständnis. Eine Frau aus Äsperöd meinte, vorgestern einen Mann hier auf dem Hof gesehen zu haben, den sie für den neuen Vorarbeiter hielt.«
    »Wer war das?«
    »Die Inhaberin des kleinen Dorfladens in Äsperöd. Sie konnte sich an Sie erinnern, weil Sie letzten Herbst einmal bei ihr eingekauft hätten. Nur Ihr Aussehen war ihr nicht mehr gegenwärtig.«
    Er schaute sie misstrauisch an, als überlege er, ob er ihre Erklärung akzeptieren könne. Sie fragte sich, warum sie sich die Mühe gemacht hatte, ihm Bescheid zu sagen, wenn er sich nicht einmal um ein Mindestmaß an Höflichkeit bemühte.
    »Jetzt wissen Sie also, wie es um Nisse steht«, sagte sie und wollte zu ihrem Auto zurückgehen.
    Plötzlich war Nygren wie verwandelt. Seine starren Züge lockerten sich, und er mobilisierte ein Lächeln, das man fast als liebenswürdig hätte bezeichnen können.
    »Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich einmal dort eingekauft habe«, sagte er. »Ich komme aber auch zu selten in diese Gegend. Hoffentlich nimmt es mir die Dame nicht übel, dass ich ihr vorzügliches Geschäft seitdem so sträflich vernachlässigt habe.«
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    Sein plötzlicher Stimmungsumschwung kam für Katharina völlig überraschend, doch sie überspielte ihre Verwunderung und ging gewandt auf seinen Ton ein.
    »Aber natürlich nimmt sie es Ihnen nicht übel; nur ist sie sehr daran interessiert, ihre Kunden an sich zu binden. Mit uns ist das nicht anders. Auch wir haben manchmal ein schlechtes Gewissen, dass wir so selten bei ihr einkaufen.«
    Nygren lachte höflich, was Katharina in Erinnerung brachte, dass ihr sein kurzes, sonores Lachen schon früher angenehm aufgefallen war. Im Grund sah er auf seine distinguierte Art auch gar nicht schlecht aus.
    »Ich nehme an, dass in solch einem kleinen Ort viel getratscht wird«, sagte er. »Hat sie noch mehr zu Ihnen

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