Der leiseste Verdacht
zu setzen, gerne auch anonym. Ich versichere, dass dies keine strafrechtlichen Folgen nach sich ziehen wird.
R. Stenberg
Kriminalhauptkommissar
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Donnerstag, 4. Mai
Um neun Uhr morgens rief Katharina Rolf Stenberg an.
»Hallo, hier ist Katharina. Kann ich dich heute Vormittag besuchen kommen?«
Roffe klang etwas zerstreut.
»Hallo. Ja … äh … im Moment bin ich ziemlich beschäftigt.
Ich muss zu einer Besprechung, aber die wird schon nicht den ganzen Tag lang dauern.«
»Um vierzehn Uhr fange ich an zu arbeiten. Dann geht’s nicht mehr. Ich würde dich gern vorher kurz sprechen. Es ist ziemlich wichtig.«
Roffe lebte plötzlich auf.
»Wir könnten doch zusammen was essen gehen.«
»Gern. Wann und wo?«
»Warum gönnen wir uns nicht was und gehen ins Nan King ?
Mir ist heute nach chinesischer Küche.«
»Ich werde um zwölf Uhr da sein«, sagte Katharina erleichtert.
»Du bist ein Schatz. Bis dann.«
»Ja, bis dann.«
Katharina war als Erste da und suchte sich einen Fensterplatz in dem spärlich gefüllten Lokal. Der chinesischen Bedienung erklärte sie, sie warte auf jemanden, und nahm sich viel Zeit für das Studieren der Speisekarte. Um neunzehn Minuten nach zwölf, nachdem sie die Speisekarte zum fünften Mal durchgelesen hatte und immer mehr Gäste in das Restaurant strömten, stürzte Roffe zur Tür herein.
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»Entschuldige bitte!«, sagte er kurzatmig. »Die Leute belagern mich in letzter Zeit geradezu.«
Katharina lachte. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich um zwölf schon mit dir gerechnet habe. Im Gegenteil, ich wäre enttäuscht gewesen, wenn du pünktlich gewesen wärst.«
Sie reichte ihm die Speisekarte.
»Ich habe schon gewählt. Ich nehme Huhn mit
Cashewnüssen.«
Roffe studierte die Karte mit ernster Miene.
»Ich glaube, ich entscheide mich für Garnelen in Currysauce«, sagte er. »Wollen wir uns eine halbe Flasche Wein teilen?«
»Ja, gern.«
Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatte, blickte Katharina sich unruhig um. Fast alle Tisch waren mittlerweile besetzt. Es fiel ihr schwer, sich inmitten all der Gäste ungezwungen zu verhalten. Sie hatte in der Nacht viel geweint und musste sich sehr beherrschen, um nicht erneut in Tränen auszubrechen. Sie bemerkte, dass Roffe sie forschend ansah.
»Er hat dir alles erzählt?«, fragte er.
Sie nickte und starrte auf das Plastikset.
Er beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme.
»Bist du sehr wütend?«
»Ja.«
»Das verstehe ich. Aber ich enthalte mich eines moralischen Urteils. Das ändert schließlich nichts an der Sachlage.«
Sie schaute auf und sagte: »Ich wollte dich auch nicht treffen, um moralische Unterstützung zu bekommen. Ich wollte von dir hören, wie du die Verdächtigungen einschätzt, denen Patrik sich ausgesetzt sieht. Wie schwerwiegend sind sie? Ich mache mir große Sorgen.«
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Jetzt war es Roffe, der den Blick gesenkt hatte. Es fiel ihm offenbar nicht leicht, ihr in die Augen zu sehen.
»Es wäre dumm von mir, dich mit Allgemeinplätzen
beruhigen zu wollen«, sagte er. »Aber natürlich kann ich dir versichern, dass ich von seiner Unschuld überzeugt bin. Ich kenne PM schon sehr lange, wie du weißt. Außerdem fügen sich die belastenden Indizien gegen ihn allzu gut zusammen. Aber das ist meine private Ansicht.«
»Ich habe auch nicht geglaubt, dass du ihn für einen Mörder hältst. Aber wer tut es dann? Die Polizei in Stockholm? Und wenn ja, worauf gründen sie ihren Verdacht?«
Um von den anderen Gästen nicht gehört zu werden, hatten sie die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich im Flüsterton. Katharina war sicher, dass man sie für ein frisch verliebtes Paar hielt.
»Wie du weißt, hat Marianne Wester diesen Brief an die Polizei geschrieben«, fuhr Roffe fort. »Im Grunde war dies nur ein Hinweis von vielen, die uns erreichten. Doch Marianne Wester wurde am selben Tag ermordet, an dem Patrik sie in Stockholm aufsuchen wollte, und am selben Tag, an dem der Brief bei uns einging. Dies ist zwar kein Beweis für seine Schuld, aber doch ein ernst zu nehmender Verdacht, dem wir nachgehen müssen.«
Katharina studierte Roffes vertrautes Profil. Sie mochte es. Es machte einen genauso zuverlässigen Eindruck wie alles andere an diesem Mann.
»Wie kommt es, dass du immer noch die Ermittlungen in diesem Fall leitest?«, fragte sie. »Ich dachte, dass ihr grundsätzlich keine Fälle übernehmt, in die Verwandte oder Freunde von euch verstrickt sind.«
»Das ist
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