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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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Fall an Christi Himmelfahrt, oder?«
    Katharina glaubte das Schlagen der Haustür gehört zu haben und warf einen Blick auf die Küchenuhr. Waren sie schon zurück? Das war unmöglich. Sie mussten etwas vergessen haben.
    Marika war unschlüssig. Auch ihr war anzuhören, dass sie verletzt war. Katharina versuchte ihren Schnitzer wieder gutzumachen: »Daniel ist natürlich auch willkommen, und ich verspreche dir, dass wir uns ganz normal verhalten werden.«
    Von plötzlicher Unruhe erfüllt, drehte sie sich um. Sie hörte Schritte in der Diele. Zögerliche Schritte. Nicht die von Patrik oder Roffe. Sie lauschte gespannt.
    Plötzlich füllte Marco Fermis Gestalt den Türrahmen.
    Katharina starrte in seine schönen, sanften Augen und hätte vor Schreck fast laut aufgeschrien, beherrschte sich aber und ließ nur einen schwachen Laut des Erstaunens hören. Als sie in der Ferne Marikas Stimme hörte, wurde ihr bewusst, dass sie Fermi den Hörer wie eine Waffe entgegenstreckte.
    Marco Fermi lächelte verlegen und machte eine
    entschuldigende Geste in Richtung Haustür, als wolle er darauf hindeuten, dass sie nicht verschlossen gewesen war. Katharina nahm sich zusammen und sprach in den Hörer: »Ich muss jetzt Schluss machen, Marika. Ich … äh … wir haben Besuch bekommen. Ich rufe dich nachher noch mal an.«
    »Ich gehe gleich aus dem Haus«, sagte Marika.
    »Ich rufe später an«, wiederholte Katharina hastig und legte auf.
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    Nisse Hallman wohnte am Stadtrand, in einem Holzhaus, das noch Reste seiner einstigen gelben Farbe erkennen ließ. Sie parkten an einem außergewöhnlich schönen alten Eisenzaun.
    »Das ist sein Elternhaus«, sagte PM. »Er war der Jüngste einer großen Geschwisterschar und der Einzige von ihnen, der noch am Leben ist. Ich glaube, er ist ziemlich einsam. Aber daran ist er selbst schuld. Sein ewiges Gemecker schreckt die Leute eben ab.« Er deutete auf den Zaun. »Sein Vater war Schmied. Da drüben, schräg hinter dem Haus, kannst du die Schmiede sehen.
    Sie ist ziemlich verfallen. Aber der Zaun ist erstklassiges Handwerk. Das Haus verfällt ebenfalls. Ich glaube, außer seinen Schweinen ist ihm alles egal.«
    »War er nie verheiratet?«, fragte Roffe.
    »Nein, er hat eine Heidenangst vor Frauen. Katharina, die es mag, wenn er von seiner Kindheit und den alten Zeiten hier in der Gegend erzählt, hat ihn nach Jahren immerhin so weit gebracht, dass er sich traut, allein mit ihr in unserer Küche zu sitzen und Kaffee und Schnaps zu trinken.«
    Als sie das imponierende Eisentor durchschritten, ließ Roffe den Blick über den vernachlässigten Garten schweifen. Das Gras war mit der Sense gemäht worden, und in den einstigen Blumenbeeten vor dem Haus wuchsen nur noch Löwenzahn und ein paar dürre rote Tulpen. Auf dem Weg, der zum
    Treppenaufgang führte, stand ein Moped. PM klopfte an die Haustür und flüsterte Roffe rasch zu: »Mach dich auf einen bestialischen Gestank gefasst. Er wäscht sich nie.«
    Langsam wurde die Tür geöffnet. Nisse Hallman starrte sie mürrisch an, doch sein Gesicht hellte sich auf, als er PM
    erkannte.
    »Ach du bist’s«, sagte er mit sichtlicher Verwunderung und blickte misstrauisch zu Roffe hinüber.
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    PM klopfte ihm herzlich auf die Schulter und sagte: »Hallo, Nisse. Das hier ist mein Freund Roffe Stenberg.« Er blickte sich verstohlen um und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Er ist Polizist. Ich habe ihm von dem Eber erzählt.«
    Als Nisse den Polizisten erschrocken anstarrte, fügte PM rasch hinzu: »Nygren wird nichts erfahren, wenn du es nicht willst.
    Du kannst dich auf Roffe verlassen. Er will dich nur ein paar Dinge zu Marco fragen. Du weißt doch schließlich einiges über ihn.«
    Die bloße Erwähnung Fermis ließ Nisses Augen dunkel vor Hass werden.
    »Und ob ich diesen Mörder kenne!«, sagte er voller Abscheu.
    PM schaute über die Schulter.
    »Können wir nicht lieber drinnen miteinander reden? Es braucht ja nicht das ganze Dorf zuzuhören.«
    Nisse trat unwirsch einen Schritt zur Seite und ließ sie in einen dunklen, muffigen Vorraum voller Gerümpel eintreten, an dessen Wänden Jacken und Mäntel hingen. Das einzige Licht drang aus der Küche, die sie ansteuerten. Obwohl PM schon vor dem Geruch gewarnt hatte, traf er Roffe wie ein Schlag in die Magengrube. Es stank ganz einfach nach Dreck und
    Essensresten.
    Roffe sah sich unauffällig um und erahnte ein
    unbeschreibliches Durcheinander menschlicher Abfälle auf Tischen und Bänken. Das

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