Der letzte Abend der Saison
bis weit in den Juli hinein. Die frühen Morgen waren kühl und wie sauber geschrubbt, doch in der kurzen Zeit, die ich benötigte, um von zu Hause bis zu Nordiska zu radeln, wurde mir schon heiß. Ingo und ich hatten uns gegen Sommerurlaub entschieden und arbeiteten immer noch in der Hausfabrik. Die ganze Produktion hallte von unseren einsamen Schlägen wider, wenn wir etwas von Hand nagelten. Manchmal beschlossen wir, genau im selben Rhythmus zu nageln, manchmal schlugen wir abwechselnd und manchmal sang ich zu den Hammerschlägen. Wir hatten keinen Vorarbeiter und wir brauchten keinen. Im Büro saß jemand, aber die Mädels hatten alle Ferien.
Jeden Abend in diesem Sommer standen wir ab sechs Uhr auf dem Marktplatz. Wir dachten viel darüber nach, wie es war, mit Mädchen zu schlafen. Wir wussten, dass es Mädchen auf der Welt gab, doch es war nicht unsere Welt.
Ingo trank und die Dose glänzte im Sonnenlicht, das über die Baumwipfel der Insel, die mitten im Fluss lag, hereinschien. Ich rauchte und Ingo trank. Wir hatten die Türen geschlossen, aber die Scheiben heruntergekurbelt.
Es waren keine anderen Menschen da. Der Ort war von allen verlassen, die ans Meer fahren konnten. Es war ungefähr gleich weit zur Ost- wie zur Westküste und die Leute waren gleichmäßig auf die beiden Küsten verteilt.
Nur Ingo und ich waren da, und wenn wir mit heruntergekurbelten Scheiben unsere ewig gleiche Runde fuhren, dann war es, als würden wir durch Geisterstädte fahren. Die warme Luft war vollkommen geruchlos. Wir hielten an, um Zigaretten zu kaufen, und die Wärme war drückend und schwer, obwohl es oft schon nach acht war. In der Hitze lag eine Unruhe, eine Rastlosigkeit, als sei sie auch auf dem Weg, würde aber von Gewichten auf die Erde gedrückt.
Wir hatten die ganze Zeit Sehnsucht, wonach, wussten wir nicht. Dieses Gefühl ließ mich an den Straßenrand fahren und ziellos durch den Wald laufen. Ich dachte nach. Ingo trank. Das half ihm auf ganz andere Weise.
Wir standen auf dem Marktplatz und warteten auf die eine dunkle Stunde des Tages und dann war sie wieder einmal vorüber. Am nächsten Vormittag erwachten wir langsam zu den Hammerschlägen. Ingo sagte niemals etwas davon, dass er müde sei. Wir redeten nicht viel, nicht in der Hausfabrik und nicht im Auto. Es gab nichts zu sagen.
»Ich kann das hier machen«, sagte er, beugte sich vor und versuchte, den Korb in den Kofferraum zu heben.
»Ich mache es«, sagte sie. Sie ließ den Griff nicht los.
»Das ist doch nicht nötig.«
»Was? Was ist nicht nötig?«
»So zu sein.«
»Ich bin es gewohnt, allein zurechtzukommen«, sagte sie ohne jede Betonung.
»Ich weiß.«
»Warum solltest du.«
»Was meinst du?«
»Warum solltest du zurückkommen und den Alltagskram übernehmen, wo ich doch bewiesen habe, dass ich ihn allein bewältige?«, fragte sie.
»Ich möchte zeigen, dass ich wieder ein Teil der Familie bin«, erwiderte er. »Dass ich hier immer noch von Bedeutung bin. Da sind solche Sachen wichtig.«
»Es gibt andere Arten, das zu zeigen«, entgegnete sie.
»Und außerdem haben diese Worte ihre Bedeutung verloren. Wenn sie je eine hatten.«
»Okay, okay.«
Sie schloss den Kofferraum. Sie verwendet mehr Kraft darauf, als notwendig wäre, dachte er. Alle Bewegungen werden stärker, wenn die Unruhe uns treibt.
»Warum solltest du?«, sagte sie und er wusste, dass sie nicht von dem Korb und dem Gepäck sprach. Jetzt betonte sie die Worte. Es ist die Betonung, die dem Gespräch einen Inhalt gibt, dachte er. Nicht die Worte. Die Worte sind nur die oberste Schicht.
Er antwortete nicht, er ging zum Fahrersitz, öffnete die Tür und setzte sich auf den Sitz.
Er strich über das Lenkrad. Er fummelte am Schlüsselbund herum. Er fuhr den Sitz nach hinten. Er griff nach dem Schalthebel. Wenn man schnell schraubt, kann man ihn abdrehen. Es ist mehr eine Frage der Technik als der Kraft.
Alle Bewegungen werden sehr wichtig, dachte er. Wenn es so ist wie jetzt, dann denkt man über alles nach, was man macht. Man ist ganz bei sich, die ganze Zeit ist man ganz bei sich.
Es ist nicht nur das verschwundene Licht in ihren Augen, das zeigt, dass alles anders ist. So war es die anderen Male nicht gewesen. Es passiert etwas. Jetzt oder nie. Das hier ist das letzte Mal.
Die Kinder saßen still auf dem Rücksitz und lasen jedes seine Zeitung. Sie könnten die Zeitungen genauso gut verkehrt herum halten, dachte er. Sie beobachten uns. Das machen Kinder, wenn
Weitere Kostenlose Bücher