Der letzte Abend der Saison
willst lieblich und bitter leiden.«
»Du verstehst wirklich. Und du warst noch nie hier?«
»Ich bin in der Stadt bei meiner Freundin und wir sind mit einem Taxi hier herausgefahren, als es anfing dunkel zu werden. Ich wusste nicht, dass es so weit draußen liegt.«
»Nein.«
»Gefällt es dir hier wirklich?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Irgendwie fühlt man sich ausgenutzt.«
»Alle nutzen einander aus«, sagte er.
»Es ist so … billig«, sagte sie. »Es ist so ein billiger Rahmen.«
»Da bin ich anderer Ansicht«, meinte er. »Ich finde, dass das hier ein guter Rahmen für die Einsamkeit der Menschen ist. Und für ihre Sehnsucht. Es passt irgendwie.«
»Du drückst dich so … anders aus«, sagte sie. »Was arbeitest du? Oder studierst du?«
»Ich nagele Dachstühle.«
Sie antwortete nicht.
»Ich nagele Dachstühle in der Hausfabrik, die da hinten hinter den Tannen liegt«, sagte er und machte eine Bewegung mit dem Kopf. »Erstaunt dich das?«, fuhr er nach einer kleinen Weile fort.
»Jetzt beleidige mich nicht.«
Sie waren am Zaun nach rechts gegangen und dann weiter über einen zusätzlichen Parkplatz. Er war halb belegt und dort war der Lärm schwächer. Sie gingen an dem Baum vorbei, der am Weg zum See hinunter stand, und er sah, wie die Bierdose, die Ingo weggeworfen hatte, im Mondschein glänzte.
Am Seeufer bemerkte er den Geruch von geräuchertem Fisch. Der Mann, der vorher hier gewesen war, hatte seinen Fang an Ort und Stelle geräuchert. Karl nahm an, dass es ein Felchen gewesen war. Plötzlich war er sehr hungrig.
»Es hat immer was, zum ersten Mal an einem neuen Seeufer zu stehen«, sagte sie.
Er hörte einen Seetaucher, der ihnen von draußen vom Wasser zurief. Der Nebel kam herein, fast zögernd. Es war, als käme er herein, um sie über die Wasserfläche wieder nach draußen zu führen. Es war immer noch warm, hier jedoch kälter als an anderen Stellen.
»Es ist der erste Abend nach dem Sommer, an dem der Nebel hier ist«, sagte er.
»Der letzte Abend wird der erste Abend«, meinte sie.
»Dieser See hat einen schönen Namen«, sagte er.
»Ich würde jetzt gern auf den See hinausfahren«, sagte sie.
»Es gibt da ein Boot.«
»Ob wir es leihen können? Ist es nicht angekettet?«
»Das hier ist eine Gegend, in der nichts angekettet wird«, sagte er lachend, ging ein wenig mit den Schuhen ins Wasser, um die Kette zu lösen, und schob das Boot vom Steg weg. »Kommst du?«
Sie zögerte, zog dann aber die Schuhe aus und watete ins Wasser.
»Es ist kalt«, sagte sie.
»Spring rein.«
Sie kletterte ins Boot, setzte sich nach achtern und er fing an zu rudern.
Es war, als hätte sich der Nebel wieder nach draußen verzogen. Er konnte die Konturen des Abhangs hinter ihr sehen und den Lichtschein vom Festplatz. Der Platz selbst war hinter dem Hügel links verborgen. Rechts sah er die schnellen Lichtkegel der Autoscheinwerfer und hörte, wie Autotüren geöffnet und wieder geschlossen, wie Motoren angelassen wurden.
»Ist es schon vorbei?«
»Sie holen mehr Alkohol.«
»Jetzt wird ja wohl nirgends mehr auf sein, oder?«
»Das hier ist eine Gegend, wo man so etwas immer bekommt«, erwiderte er.
»Das muss hier eine ganz besondere Gegend sein.«
Er antwortete nicht.
»Jetzt ist es an der Zeit, das hier zu verlassen«, sagte sie. »Schließlich ist es der letzte Abend und es passt gut, dass wir Weiterreisen.«
»Ich verstehe, was du meinst.«
»Tust du das?«
»Aber ich habe meine Arbeit«, sagte er. »Ich habe teure Gewohnheiten und das Geld muss regelmäßig reinkommen.«
»Ich meine das hier ernst«, sagte sie.
Er antwortete nicht. Wieder hörte er den Seetaucher, es klang, als wäre er jetzt weiter entfernt, obwohl er auf ihn zuruderte. Er sah auf die Dollen vor sich, auf denen die Ruder lagen, die in den See tauchten.
Weil ich damals nicht viel trank, war ich oft derjenige, der fuhr. Es war fast nie jemand auf der Straße unterwegs, wenn wir abends über die umliegenden Dörfer fuhren. Wieder und wieder fuhren wir eine Runde von dreißig Kilometern. Wir kamen an stillgelegten Bahnhöfen und Postämtern vorbei, deren Fensterscheiben eingeschlagen waren.
Der Wind kam immer aus Südwest. Ich konnte es an den Wimpeln über den Kiosken erkennen. Die Autos fuhren bis direkt vor den Kioskschalter und eine Hand wurde aus dem Fenster gestreckt. Wir im Hochland hatten keine Drive-in-Kinos, aber wir hatten den Drive-in-Kiosk.
Die große Wärme von Mittsommer hielt sich
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