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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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natürlichen Graben, in dem ein winziger Bachlauf gluckerte. Über mir lagen die zerschmetterten Stämme wie eine Brücke, dichte Wipfeläste mit Tannenzapfen hingen nach unten. Unser Bürgermeister hatte gesagt, dass die Gemeinde bei diesem Sturm mindestens siebentausend Raummeter Holz verloren habe, Holz inflationierte.
    Dann begann es zu regnen.
    Ich kroch dorthin, wo eine Tanne mitsamt einem riesigen Teller Wurzeln glatt aus der Erde gerissen worden war. Zwei andere Bäume waren darauf gefallen, und ihre Äste bildeten eine große, natürliche Höhle. Ich stopfte mir die Zenta von Jensen und war heilfroh, meiner Arbeitswut ausgewichen zu sein. Nichts ist schöner, als im Wald strohtrocken einen Regen zu erleben.
    Der Regen nahm zu, wurde dichter und brachte kalten Wind. »Katze!«, schrie ich, »komm her!« Aber sie kam nicht, mauzte von irgendwo.
    Hinter mir auf dem Waldweg tuckerte ein Trecker, dem Geräusch nach ein kleiner Case, also entweder Werner oder Erwin. Es regnete nun spärlicher, also kroch ich aus meinem Unterstand und turnte aus dem Dickicht. Das Geräusch des Treckers war verstummt, Erwin ging vorsichtig um mein Auto herum und schüttelte bedächtig den Kopf, wie es so seine Art ist. Dann sah er mich und meinte grinsend: »Wie kann man denn als vernünftiger Mensch bei diesem Wetter im Wald herumkriechen?«
    »Und machst du vielleicht Frühsport?«
    »Ich spalte mein Holz«, sagte er. »Und ich habe vorgesorgt.« Er grinste vergnügt und griff hinter den Sitz in seinem Trecker. »Obstler von der Mosel. Wenn du das Zeug bei dir hast, kann dir nichts passieren. Hast du die Keile gefunden?«
    »Ja, danke. Aber ich habe mir heute freigegeben, mache blau.«
    »Das braucht der Mensch«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. »Stell dir vor, du wärst in der Sturmnacht da drin gewesen.« Er deutete in den Bruch. »Da sähst du aber jetzt verdammt alt aus.«
    Er war um die fünfzig, knorrig, vom Eifelwetter gegerbt, er war stolz darauf, noch Junggeselle zu sein. Wenn er an der Theke stand, war er nach dem fünften Bier der mit Abstand fröhlichste Flucher des Dorfes. Er pflegte sich irgendeinen Gast auszusuchen, dann polterte er: »Du Bastard! Du Hungerlappen, du Marmeladenfresser!« Sein fröhliches rotes Gesicht unter den wilden grauen Haaren neigte sich dann zur Seite, als lausche er höchst amüsiert seiner eigenen Schimpferei. Seine sehr klaren blauen Augen strahlten dazu, als verteile er Zärtlichkeiten. Wenn er Sieben Schröm spielte oder knobelte, pflegte er nach einem Gewinn mit listigem »Schmeckt billig!« dem Verlierer zuzuprosten. Wenn er heiter trunken um sich blickte, pflegte er als Soziologe folgenden Satz in die umstehende Menge zu schleudern: »Die Junggesellen sind deshalb so wertvoll, weil sie ihre Frauen nicht zum Arbeiten schicken.« Dann horchte er in sich hinein, befand: »Ich bin satt!« und verschwand.
    »Und was machst du hier?«, fragte er.
    »Ich weiß das nicht genau«, sagte ich. »Mir fiel eben auf, dass die Menschen zum Mond fliegen können. Sie bauen auch Computer, die man intelligent nennen kann. Aber wenn ein Massenmörder namens Saddam Hussein auftaucht, lassen sie ihn hilflos gewähren und machen Geschäfte daraus. Und gegen Grippe wissen sie auch nichts.«
    Er wischte sich ein paar Regentropfen von der Nase. »Die Menschen sind verrückt. Ich muss jetzt zu meinem Holz.« Er schwang sich auf den Trecker und tuckerte los.
    »Lass uns jetzt die Holzwüste durchqueren«, befahl ich meiner Katze. Aber sie weigerte sich immer noch, also ging ich allein.
    Es war ein ziemlich mühsames Geschäft, aber es half mir, meinen Körper zu spüren und jeden verfügbaren Muskel anzustrengen. Ich balancierte über lange, wippende Stämme und kroch über Äste hinweg. Es hatte zu regnen aufgehört, der Wind ging stetig und kräftig, und im Südosten war der Himmel ganz plötzlich blau.
    Ich hockte mich auf einen Baumstumpf, zündete die Pfeife wieder an und sah den wilden Rittersporn sprießen. Ich überlegte, ob es nicht vernünftig und möglich war, diesen ganzen chaotischen Bruch so zu lassen. Aber die Leute, die der Meinung waren, ein deutscher Wald habe ordentlich und streng ausgerichtet unter der Sonne zu liegen, waren in der Überzahl. Sie würden mich belächeln.
    Plötzlich war Krümel da, rieb sich an meinen Beinen, klagte laut und verschwand unter einer Reihe flach liegender Stämme.
    »Da komme ich nicht durch«, sagte ich.
    Sie kam zurück und hatte einen Schwanz

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