Der Letzte Askanier
Havelland, Teltow, Barnim und später auch die Niederlausitz.«
»Die Stände haben mich gerufen – und zu dieser Zeit hat sich Heinrich in meinem Hause aufgehalten.«
»Alle haben sich ihr Stück vom großen Kuchen abschneiden wollen …« Gräfin Matilde schloß den Rückblick ab, indem sie auf den Herzog Heinrich II. von Mecklenburg verwies, der sich der Prignitz bemächtigt hatte, auf die Herzöge von Pommern, die in die Uckermark eingefallen waren, und die schlesischen Herzöge, die sich das Land Lebus sowie Sagan, Crossen und Züllichau genommen hatten, während die Altmark über Agnes an Herzog Otto von Braunschweig und die Lande Görlitz und Bautzen an den König von Böhmen gefallen waren. »Bis euch dann allen der Wittelsbacher Einhalt geboten hat.«
Anfang 1324 hatte der Markgraf Ludwig zum erstenmal märkischen Boden betreten, keine zehn Jahre alt, geführt von seinem Vormund Berthold von Henneberg, und sofort stellten sich fast alle Städte auf seine Seite. Rudolf von Sachsen hatte klein beigeben müssen, denn wer die Städte hatte, hatte die Macht. Mit Entschädigungen, aber auch einem kleineren Krieg gegen die Braunschweiger gelang es den Wittelsbachern, sich in den vollständigen Besitz des askanischen Erbes zu bringen, doch dies hatte ihre Kräfte überfordert. Kaiser Ludwig begann, die Mark Brandenburg zu vernachlässigen, und sah es viel lieber, daß sich sein Sohn, der junge Markgraf, mehr auf das reiche Tirol konzentrierte denn auf das arme Brandenburg, das ihn soviel gekostet hatte und noch immer kostete.
»Immer neue Steuern will er von den Zünften«, klagte Bernard von Plötzke. »Die märkischen Städte bluten völlig aus.«
Albrecht von Anhalt meinte, daß man bereits von Verwilderung und Unordnung sprechen müsse. »In den Wäldern lagert räuberisches Gesindel, die Straßen sind so unsicher wie nie, den Bauern wird das letzte Hemd genommen. Dieser Ludwig ist Brandenburgs Verhängnis geworden.«
Tatsache war, daß Markgraf Ludwig V., der Brandenburger oder der Ältere, wie sie ihn nannten, seit es einen jüngeren Bruder gleichen Namens gab – Ludwig den Römer –, viele Feinde hatte: den Papst, den deutschen König und einige der mächtigsten Fürsten. Dazu kam die gesamte Geistlichkeit wegen des auf ihm lastenden Bannes und weil seiner Ehe mit der Margarete Maultasch der kirchliche Segen fehlte. Auch der Adel – bis auf die Ritter und die edlen Herren, die jenseits der Oder in der Neumark saßen – war gegen ihn, dies vor allem wegen seiner zahllosen Liebschaften. Und die einfachen Leute liebten ihn schon gar nicht.
»Ich wette hundert zu eins, daß die Mark für Ludwig schon verloren ist«, warf der Sachsenherzog ein. »Einen neuen Herren braucht das Land!« Und er dachte dabei an König Karl, der sein Gönner war und ihn bereits für seine Erben mit der Altmark belehnt hatte.
Doch die Gräfin Matilde hatte offensichtlich anderes im Sinn. Sie sah die drei Männer aufmerksam an und wartete gespannt auf ihre Reaktion. »Der Kapuzinermönch in Brandenburg hat mich auf einen kühnen Gedanken gebracht …« Sie hatte ihrer Stimme einen so gebieterischen Klang zu geben vermocht, daß ihre Vettern auf der Stelle verstummten. »Ich fühle es: Die Zeit ist reif dafür.«
Albrecht von Anhalt verstand sie nicht. »Wofür, liebe Cousine?«
»Dafür, daß wir Waldemar wiederbekommen. Er kehrt ganz einfach aus dem Heiligen Land zurück – so wie damals der andere.«
Sie erinnerte an Heinrich den Pilger, den Herrn von Mecklenburg, der ins Heilige Land gereist und den Sarazenen in die Hände gefallen war. Sechsundzwanzig Jahre waren vergangen, als er im Jahre 1298 völlig unerwartet wieder in der Heimat erschien. Mehrere Betrüger hatten sich bereits für ihn ausgegeben und ihre Kühnheit mit dem Tode gebüßt. Doch Heinrich war echt und regierte noch lange und glücklich. Seine Geschichte war von der Nordsee bis zum Mittelmeer von Mund zu Mund gegangen.
»Aber unser Oheim ist doch wirklich tot«, wandte Rudolf von Sachsen ein. »Er liegt begraben im Kloster zu Chorin.«
»Dann müssen wir eben dafür sorgen, daß er aufersteht.«
KAPITEL 7
1348 – Fläming
E rde zu Erde. Er wühlte sich mit dem Gesicht in den feuchten märkischen Sand. Erde zu Erde, Staub zu Staub. Du Weihrauch der Erde! Düfte, an denen er sich schier berauschen konnte. Wenn das Laub winterlang im Boden moderte. Wenn die Wurzeln, von seinen Fingern zerrissen, Tränen weinten, einen milchigen Saft,
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