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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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den er trinken konnte wie geharzten Wein. Wenn der Sand nach Pilzen schmeckte, wenn er mit den Zähnen die Rinde von den Birkenästen schälen konnte, dann war er zu Hause. Seine Wohnung war eine Höhle, mit den Händen in den Sand gegraben, mit Zweigen abgedeckt. Er faltete die Hände zum lautlosen Gebet.
    Er legte sich auf den Rücken und schloß die Augen. Die Kälte kroch aus dem Boden und umschloß seinen Körper wie eisiges Wasser. Wenn sein Blut gefroren war, sank er hinab in ein endlos tiefes Meer. Warum nur hatte er Jerusalem verlassen, wo seine Seele aufgeblüht war wie der Krokus nach einem langen Winter? Weil Bäume da zu sterben haben, wo der Herr den Samen für ihr Wachstum ausgestreut hatte. So hatte es ihm Bruder Marquardus immer wieder gesagt. Wenn der ihn nicht gesundgepflegt hätte … Hosianna! Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Nun war er alt und grau geworden und verbrauchte seine letzte Kraft damit, quer durch Brandenburg bis zur Oder zu kommen. Würden ihm Frau und Kinder zürnen, daß er sie verlassen hatte, um der Stimme des Herren zu folgen? Mach dich auf, werde licht! denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Alles, was geschehen war, war zu Recht geschehen, denn es war nichts anderes als Gottes Wille.
    Von Venedig herauf, wo er an Land gegangen war, hatte er Herbst und Winter gebraucht, um sich bis hierher durchzuschlagen, wo auf sanften Höhenrücken die Grenze zwischen Sachsen und Brandenburg verlief. Zu Fuß kam man nur langsam voran, aber für Pferd und Wagen hatte er kein Geld, und außerdem konnte eine Pilgerreise Gottes Wohlgefallen nicht finden, wenn keine Qual mit ihr verbunden war.
    »Herr, gib mir die Kraft, daß ich meine Mühle noch einmal wiedersehe!«
    Doch zugleich spürte er mit Erstaunen, ja, Entsetzen, daß er seine Mühle eigentlich gar nicht wiedersehen wollte, daß ihm bei dem bloßen Gedanken, im Mehlstaub zu stehen, immer vom Ersticken bedroht oder vom Sturz in die Tiefe, Kopf und Magen zu schmerzen begannen. Seine Frau war sicher schon fast eine Greisin, und seine Töchter waren längst selber Mütter, die sich ihres Vaters so wenig erinnerten, wie es die Tiere taten.
    Er schrie seine Frage zum Himmel hinauf: »Herr, warum hast du mich hierher zurückgerufen, was hast du mit mir im Sinn!?«
    Lange lauschte er auf eine Antwort, doch was er hörte, war allein seine innere Stimme: Trau auf den Herrn von ganzem Herzen und verlaß dich nicht auf deinen Verstand; gedenke seiner auf all deinen Wegen, so wird er dich trefflich führen.
    In diesem Augenblick erhob sich einiger Lärm vor seiner Höhle, und er kroch hinaus, um zu sehen, was es denn sei, das ihn da in seiner Andacht störte. Von den Feldern waren sie gekommen, Bauern und Bäuerinnen, wollten heim ins Dorf, da sich die Sonne senkte.
    »Wer bist du?« fragte eine, die sie Riksa nannten.
    »Ein Pilger aus Jerusalem.«
    »Und bist hier zu Hause gewesen?« wollte Bartel wissen.
    »In Niemegk, ganz in der Nähe hier, dann über die Oder gezogen.«
    »In Niemegk, dann müßten wir dich kennen!«
    »Ich bin Jakob Rehbock, der Müller.«
    »Ja, er ist's!« Die Älteren konnten sich an den Namen noch erinnern. »Und du warst so lange im Heiligen Land …?«
    »Im Jahre des Herrn 1319 bin ich losgezogen und hab' all die Jahre am Grabe des Herrn gelebt.«
    »War deine Sünde so groß?« fragte eine alte Bäuerin.
    »Ja, ich habe im Zorn und aus niedriger Rache die Scheune eines Nachbarn angezündet.«
    »Wenn es weiter nichts ist«, sagte Bartel lakonisch.
    »Nun, der Nachbar hatte gerade mit seiner Magd im Heu gelegen, und beide sind elendiglich verbrannt.« Bei diesen Worten sank er wieder auf die Knie und betete. »Vater im Himmel, vergib mir meine Schuld!«
    »Bei so langer Buße wird er schon!« lachte Bartel.
    Da fuhr ihn Rehbock an: »Tu von dir den verkehrten Mund und laß das Lästermaul ferne von dir sein!«
    »Ist ja schon gut.«
    »Hattest du nicht Frau und Kinder?« fragte ein steinalter Bauer, der sich an den Müller von Niemegk noch gut erinnern konnte. »Zwei Töchter, wenn ich mich nicht irre.«
    »Ja, die Agnes und die Adela, und Katharina war mein Weib.«
    »Und die hast du einfach verlassen, um nach Jerusalem zu pilgern?« fragte Riksa vorwurfsvoll.
    »Der Herr spricht: Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und laß

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