Der letzte Aufstand
dieses Gefühl hatte sich gesteigert. Gesteigert bis zu eben dieser Nacht, die einer Explosion glich, die den Weg in unbekannte Seelentiefen freigab.
Als Guillaume am nächsten Morgen aufwachte, spielte Yeva mit seinem Haar. Die Sonne spähte durch die geschlossenen Holzjalousien in das Zimmer hinein und warf ihr goldenes Licht an die blumige Tapete. Guillaume öffnete seine Augen und drehte sich Yeva zu. Sie war an diesem Morgen fast noch schöner, als sie es abends gewesen war. Ihre goldbraunen Augen strahlten die Ruhe einer Einsiedlerin aus. Es war, als betrachte sie die Welt von fern ab, als sei der ganze Wahnsinn, der sich immer schneller über die Welt ausbreitete für sie nichts anderes als der Streich eines unerzogenen Kindes. Wahrscheinlich hatte die Recruiting Spezialisten sie genau aus diesem Grund gewählt.
Es gab nicht viele Menschen, die der ATO angehörten. Sicher, wenn man bedachte, dass es die ATO erst seit sechs Monaten gab, so war sie doch schon eine recht grosse Organisation, aber wie gross sie genau war, das wussten nur Oliver Palms und Helena Mesic. Niemand wusste, wer zur ATO gehörte und wer nicht. Nur Helena und Oliver hatten den Überblick, damit niemand die Organisation infiltrieren konnte. Die ATO gehörte zu den bestgehüteten Geheimnissen aller Zeiten.
Dann kam der Augenblick.
Es war, als ereile sie gleichzeitig die Gewissheit, dass die Zeit gekommen war. Ein tiefer Atemzug läutete das neue Kapitel in ihrem Leben ein. Sie wussten beide nicht, ob und wie sie den heutigen Tag überleben würden. Aber auf diese Ungewissheit waren sie sechs Monate lang vorbereitet worden. Das eigene Leben war ein geringer Preis, den man bezahlte, stellte man es dem Ganzen gegenüber.
Ein letzter intensiver Blick, der sich tief in die Seele hineinbohrte. Dann erhoben sie sich wortlos. Genau so, wie sie sich gestern wortlos geliebt hatten.
Das Gepäck mit der Ausrüstung stand noch dort, wo der Portier es gestern hingestellt hatte. Guillaume zog sich das T-Shirt an, welches ihm Yeva gestern so leidenschaftlich vom Körper gezogen hatte. Der Duft seines Deodorants hatte den dünnen Baumwollstoff ganz durchtränkt. Wenn er schon sterben sollte, dann wenigstens gut riechend, dachte er sich, während er sich das T-Shirt zurecht zupfte. Doch vielleicht war das etwas zu pessimistisch. Yeva und er waren intensiv auf ihre Aufgabe vorbereitet worden, und wenn sie sich an die Angaben des C-Teams halten würden, dann würden sie den Tag überleben.
„Ihr müsst den C-Teams vertrauen, ihr habt keine andere Wahl! Aber die Jungs und Mädels sind gut, sie haben euer Vertrauen redlich verdient!“ Olivers Worte hatten sich in Guillaumes Gedächtnis eingegraben.
Yeva stand vor dem Spiegel und kämmte sich andächtig die Haare. Sie summte eine Melodie dazu, was Guillaume an seine Kindheit erinnerte. Seine Mutter hatte auch immer leise vor sich hin gesummt, vor allem wenn sie sich geschminkt oder sich die Haare frisiert hatte. Er schlüpfte in seine schwarzen Hosen. Der leichte Stoff fiel perfekt; die Hose war meisterhaft geschnitten. Die ATO hatte wirklich keine Kosten gescheut. Die ganze Ausrüstung bestand nur aus Klasse 1A Materialien. Selbst die Koffer mit den Waffen waren luxuriös. Aber schliesslich ging es ja darum nicht aufzufallen, und wenn man schon ins Ritz eincheckte, dann am besten im richtigen Outfit. Nichts wäre katastrophaler gewesen, als das vorzeitige Scheitern der Mission. Und das traf auf jedes Team weltweit zu, denn für alle Teams auf dem Planeten war heute der Tag X.
Die teuren Kleider und das luxuriöse Drumherum waren eine Widerspiegelung der Situation. Die ATO war der letzte Versuch der zivilisierten Welt den Wahnsinn zu stoppen. Und da wurde nicht gespart, denn sollte die ATO versagen, spielte Geld alsbald sowieso keine Rolle mehr. Dann würde das Faustrecht gelten und die Menschheit würde ins Mittelalter zurück fallen. Wenn die ATO versagte, dann machte alles keinen Sinn mehr.
Guillaume öffnete den Samsonite-Koffer, in dem die Spezialwaffen versorgt waren. Yeva zog sich das schwarze Kleid über, das Guillaume gestern so sehr in Verzückung gebracht hatte. Nur, dass es jetzt keine solche Wirkung mehr auf ihn hatte. Sein Verstand war jetzt nüchtern auf die Mission eingestellt. Nichts, nicht die schönste Frau der Welt, hätte ihn jetzt von seinem Ziel abbringen können. Und Yeva war verdammt nah daran die schönste Frau der Welt zu sein.
Guillaume steckte die Waffe zusammen und
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