Der letzte Aufstand
Aufenthalts in dieser Welt. Hatte der Tee ihn gefügig gemacht? War er manipuliert worden Dinge auszuplappern, die er lieber für sich behalten hätte?
„Wann kann ich Liv sehen?“
„Ich werde die Heiler fragen.“ Dann klopfte Henk ihn grob auf den Rücken. „Komm, ich zeig dir deine Zelle hier.“
„Zelle?“
Henk drehte sich der Türe zu. „Folge mir!
☸
Vor der Küste von Zypern, 127 Tage bis „ Tag X“
Es war das zweite Mal, dass das Schiff durch ruhige See an Zypern vorbei glitt. Doch diesmal zeichneten sich die Konturen der Insel im Osten ab. Der Kapitän hatte das Schiff bis kurz vor die libanesische Küste gesteuert und war jetzt unterwegs in Richtung der Ägäis.
Die Sonne war am Morgen noch mild und ein lauer Wind zog über Deck. Das gute Wetter lud dazu ein, die morgendliche Versammlung an Deck abzuhalten, was die letzten drei Tage wegen eines nicht enden wollenden leichten Regens nicht möglich gewesen war. Die grossen Thermoskrüge, die bis oben voll mit heissem Löwenzahn-Tee waren, standen bereits in emsiger Benutzung, und um Punkt neun Uhr sassen die A-Teams mitsamt ihrer Teetassen auf den Plastikstühlen bereit.
Die Pünktlichkeit der Teams wurde von Tag zu Tag besser, was Helena als sehr wichtig betrachtete. Sie hatte den Leuten vor einer Woche ins Gewissen reden müssen, weil der improvisative Ablauf des Tages zu einer missverstandenen Auslegung von Freiheit geführt hatte und die Letzten oft erst zehn Minuten nach offiziellem Beginn auftauchten. Es war zwar verständlich, waren die Tage doch voll von Übungen, die jeder im stillen Kämmerchen für sich selbst durchführen musste, doch die Zuverlässigkeit musste eine selbstverständliche Tugend der A-Teams werden. Zu viel stand auf dem Spiel, als dass man solche Charakterlücken grosszügig hätte übersehen dürfen.
Doch an diesem Tag musste Helena die Persönlichkeiten um einiges mehr herausfordern, als dass sie das tat, wenn sie Pünktlichkeit beanspruchte. Heute ging es um den Umgang mit der Realität, schliesslich war die Wirklichkeit voll von Stress, Zeitdruck, unvorhergesehenen Ereignissen, Belastungen, Lärm und Sorgen.
Sie knipste das Mikrophon an, welches ihre Stimme über die Bordlautsprecher in die hintersten Ecken des Decks B transportieren würde.
„Guten Morgen, meine Pünktlichen ...“
Ein stolzes Lächeln trabte über einige Gesichter.
„Wir haben schon viel erreicht, Freunde. Ich glaube, heute Nacht war das erste Mal, dass alle es zum ausserkörperlichen Treffpunkt geschafft haben, ja? Waren alle dort?“
Allgemeines Nicken.
„Sehr gut. Es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, dass eine so grosse Gruppe von Leuten, wie die unsere, es fertig bringt, dass alle Teilnehmer sich im Schlaf an einem vereinbarten Punkt in der anderen Welt versammeln können. Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Gratuliere!“
Ihr Ton wurde ein wenig schärfer.
„Ich habe euch dort eine Zahl genannt. Stellt bitte eure Tassen hin. Alle kommen zu mir nach vorne und flüstern mir die Zahl, die ich genannt habe, in‘s Ohr. Kein Drängeln bitte.“
Das Schleifen von Plastikstuhlbeinen auf Metall begleitete die Bewegung, die nun in die Versammlung kam, als sich alle fast gleichzeitig erhoben und eine Schlange vor Helena formten. In einem gewissen Sinn waren alle ATO-Mitarbeiter wie Kinder, die an eine bessere Welt glaubten und dafür bereit waren, für eine bessere Zukunft das eigene Leben auf‘s Spiel zu setzen. Insofern ging allen ein kindliches Mitteilungsbedürfnis durch die Seele, wenn Helena die Hausaufgaben kontrollierte.
Rund drei Minuten später herrschte wieder Ordnung. Helena konnte sich selbst eine gewisse Regung von Stolz ebenfalls nicht verklemmen. Sie strahlte, denn dass so etwas möglich war, war die beste Bestätigung für ihre Ausbildungsstrategie und dafür, dass sie richtig geplant hatte.
„Das ist fantastisch, Leute! Ihr habt euch alle korrekt an die Zahl erinnert und sie zuverlässig von der einen Dimension in die andere transportiert. Die Zahl war 7218, und ihr habt sie alle richtig genannt. Fantastisch! Aber das bedeutet, dass wir nun bereit sind die nächste Etappe in unserer Ausbildung in Angriff zu nehmen, und das ist keine einfache Sache. Im Gegenteil, was euch jetzt erwartet, ist vielleicht der schwierigste Teil des ganzen Trainings.“
Helena erhob sich und kritzelte einige Worte als Titel auf den bereitstehenden Flipchart, während die Teams auf Deck B gespannte Blicke
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