Der letzte Aufstand
dass er nicht auf Yeva schiessen würde, bevor er aus der Tür stürmen würde?
Yeva wurde vom Besitzer des Geschäftes regelrecht in beschützerische Haft genommen; er wollte sicher stellen, dass seiner Kundin auf keinen Fall etwas passieren würde, und stellte sich breitbeinig vor sie. Doch genau das hinderte sie daran Theo zu stoppen.
Theo stand mit den Rücken zur Tür. Einen besseren Moment würde es kaum geben. Zwei Schritte trennten Guillaume von der Eingangstür. Dann ging er los. Keine zwei Sekunden später stiess er die Türe auf, die mit einem Klingeln sein Eintreten allen Anwesenden verkündete. Theo drehte sich um, Messer in der Linken kampfbereit erhoben. Instinktiv fragte Guillaume sich, was das sollte ... Theo konnte höchstens zwanzig Jahre alt sein und sah aus wie ein Philosophie-Student. Der ein Terrorist? Seine Gesichtszüge waren fein, die Augen hinter der Brille drückten Angst und Unsicherheit aus, seine Bewegungen waren fahrig.
Dann drückte Guillaume ab. Er musste abdrücken, das Risiko war real. Doch noch nie bei der Benutzung des Tazers hatte er die Waffe mit einem gekonnten Griff auf die niedrigste Stärke eingestellt, wie hier. Normalerweise liessen sie sie auf den Werkeinstellungen: mittlerer Stärkegrad, doch hier machte das keinen Sinn. Er wollte die Sache so schnell wie möglich beenden. Die elektrisch geladenen Pfeilgeschosse brausten unter Hochdruck aus dem Schaft des Tazers und bohrten sich durch Theos Kleidung. Theo hatte gerade etwas sagen wollen, doch jetzt wurde aus dem Satz, den sein Mund bilden wollte, ein zerquetschter Vokal, der irgendwo zwischen A und O anzusiedeln gewesen wäre. All seine Muskeln spannten sich unwillkürlich auf‘s Maximum an und er verlor die Aufrechte so schnell wie ein Kind bei den ersten Gehversuchen. Guillaume realisierte sofort, dass er die richtige Entscheidungen gefällt hatte; ein stärkerer elektrischer Schlag hätte den armen Kunden vielleicht sogar umgebracht, obwohl die Hersteller der Tazer-Waffen einen plötzlichen Herztod als sehr unwahrscheinlich bezeichneten und nur gewisse vorübergehende Herzrhythmus-Störungen als Folge eines Einsatzes angaben.
Yeva schob sich an dem perplexen Geschäftseigentümer vorbei. Sie entnahm Theos geschlossener Faust das Messer und zog seine Arme hinter seinen Rücken, wo sie ihm innerhalb weniger Sekunden die Kevlar-Handschellen anzog.
„Kunde in Gewahrsam!“, sagte Yeva, wobei nur sie und Guillaume wussten, dass die Message für Kahil und Lea gemeint war. Der Eigentümer stand mit offenem Mund da.
„Keine Sorge. Wir sind von der Polizei!“, sagte Guillaume. Er zog sich die gelbe Armbinde an, die er für den Transport von Theo zur Streife eh tragen musste, wollte er keine Missverständnisse mit hilfsbereiten Bürgern auf dem Gehsteig heraufbeschwören.
„Woher wussten Sie ...?“, fragte der Waffenhändler.
„Wir sind einem Hinweis von einem Informanten gefolgt und hatten Glück!“
Guillaume griff Theo rechts unter die Arme. Zusammen mit Yeva half er ihm auf die Beine. Yeva schaute den Ladenbesitzer an. „Alles okay?“
Dieser nickte ihr zu.
Theos Muskeln waren zwanzig Sekunden nach Abschuss der Waffe immer noch leicht verkrampft. Er selbst irgendwie beduselt, als verstehe er nicht, was soeben alles vorgefallen war. Das B-Team verliess den Laden, Theo fest im Griff. Sie mussten ihn halb stossen, halb stützen, weil er zu unsicher auf den Beinen war, doch er leistete keinen bewussten Widerstand, sondern torkelte zwischen ihnen her. Es war 16.03 Uhr. Ohne die ATO würde Theo jetzt anfangen auf beliebige Menschen in der Strasse zu ballern.
„Hoffentlich stehen die wirklich bereit, dort vorne um die Ecke ...“, sagte Yeva.
„Ja, hoffentlich. Wir haben vierzehn Minuten, bis wir Mireille aus dem Wagen ziehen müssen.“
Die Ecke, wo die Rue Duphot die Rue St. Honoré kreuzte, war noch zehn Schritte entfernt.
„Wo bringt ihr mich hin?“, fragte Theo. Er begann sein Gehirn zurück zu erobern.
„Zu Freunden, mach dir keine Sorgen.“, antwortete Yeva.
Dann bogen sie um die Ecke. Doch es war keine Streife zu sehen. Im Bruchteil einer Sekunde erfassten Guillaume die Lage. Seine Hand wanderte zum Begleiter hoch.
„Lea, die Polizei ist nicht hier. Die Motorräder auch nicht ...“
Lea antwortete sofort.
„Keine Sorge! Ihr seid eine Minute zu früh. Ich hab die Polizei instruiert keine Minute zu früh dort zu sein. Ich wollte nicht, das Theo in irgendeiner Weise verunsichert werden
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