Der letzte Aufstand
könnte. Die kommen in den nächsten dreissig Sekunden, du wirst sehen ...“
Theo blickte an Guillaume hoch und entdeckte den Begleiter in seinem Ohr.
„Ihr seid von der ATO, nicht wahr? Ich hab gestern eine Reportage über euch gesehen. Und jetzt bringt ihr mich zu dem neuen Gefängnis beim Flughafen, nicht wahr?“
Yeva traute kaum ihren Ohren.
„Woher weisst du das?“, fragte sie.
„Es kam gestern im Fernsehen. Ich bin erst heute Morgen aus den USA zurückgekehrt. Dort huscht die Übertragung des Interviews über jeden Sender ...“
„Was für ein Interview ...?“
Doch die Frage musste warten. In dem Moment kam eine Streife mit Blaulicht, aber ohne Sirene die Rue St. Honoré herunter gefahren, gefolgt von einem 3.5 Tonnen-Laster auf dessen Ladefläche zwei Motorräder standen.
„Alles klar, Lea! Sie sind hier!“
☸
New York, 10 Tage nach „Tag X“
Pete hatte die Sitzung auf acht Uhr früh angelegt, danach beabsichtigte er sein Leben zu beenden. Ohne Liv machte die Sache keinen Sinn mehr. Und Liv war unendlich weit weg, unerreichbar. Also würde er von der Brücke springen. Vielleicht gab es eine Spur von Trotz, die in dem Entschluss mitschwang, Trotz dem Schöpfer gegenüber, der es Wesen aus einer anderen Dimension erlaubt hatte, in die eigene Welt zu kommen und Liv, sein Licht und seine Sonne, in eine andere Welt zu entführen. Falls es diesen Schöpfer gab, so war der Selbstmord die einzige Aussage, die Pete machen konnte, um diesem Gott klarzumachen, dass er mit dem grossen Plan nicht einverstanden war.
Pete fühlte sich erleichtert, dass ihm der Entschluss so leicht gefallen war, und er interpretierte das als Bestätigung dafür, dass es der richtige Beschluss war.
Die Quoten waren über Nacht eingegangen. Jetzt ging es nur noch darum herauszufinden, wie erfolgreich das Interview gestern gewesen war, und dann würde er zu Fuss zur Brücke gehen.
Björn kam, einen Ausdruck wedelnd, ins Besprechungszimmer.
„Und?“, fragte Pete.
„Du warst zu lange weg, sag ich dir. Und jetzt bist du zurück und schaffst es innerhalb eines Tages unsere Quoten um 700% zu steigern, Mann.“
Pete lächelte. Das war ein guter Tag um Abschied zu nehmen.
„Aber das ist nur der Anfang. Unsere Out-Licensing-Abteilung hat diese Nacht über dreihundert Verträge unterzeichnet. Unser Interview wird heute in fast jeder Nation dieser Welt ausgestrahlt! Du hast uns innerhalb eines Tages Millionen eingebracht! Wurde Zeit, dass du zurück kommst, Pete.“
„Was hat den Leuten am besten gefallen?“
„Laut den Statistiken diskutieren die Leute auf dem Netz vor allem die Aufnahmen des Gefängnisses in Paris, das du gefilmt hast. Scheint, sie sind dankbar, dass sie schwarz auf weiss gesehen haben, was die Regierungen unternehmen ...“
„Perfekt!“, sagte Pete. „Sitzung beendet. Mehr wollte ich nicht wissen. Jetzt geh ich gemütlich Morgenessen!“
„Tu das, Mann. Tu das!“, antwortete Björn.
Pete nahm seine Jacke vom Stuhl und verliess das Besprechungszimmer. Noch eine halbe Stunde Fussmarsch und dann war es vorüber, dieses Leben.
Fünfzehn Minuten später, Pete war gerade auf der Höhe von Ground Zero und ging an den Tafeln mit den Namen all der Opfer vom 11. September vorbei, rollte ihm eine einzelne, einsame Träne die Wange hinunter. Er putzte sie weg. Doch kurz darauf folgte eine zweite, als wolle sein Körper ihm klarmachen, dass er sein Leben nicht lassen wolle. Pete bliebe stehen und horchte nach innen. Es war, als habe er zwei Gehirne, die verschiedene Ziele verfolgten. Er hatte Mitleid mit sich selbst, aber er wollte keine Gnade kennen. Ohne Liv zu leben war unmöglich; dann lieber nicht leben. Trotzdem sandte er ein Stossgebet in den Himmel: Wenn ich leben soll, so gib mir einen Grund dafür. Zeig mir eine Perspektive, ansonsten will ich dieses Leben lassen.
Das war‘s. Er hatte gebetet. Mehr war nicht zu machen. Pete ging weiter. Noch eine gute Viertelstunde bis zur Brücke, wenn er es gemütlich nahm.
☸
Taaah, 193 Tage bis „Tag X“
Zum neunten Mal innerhalb von drei Tagen hing die kleine Lichterapparatur über ihrem Körper. Livia liess ihre Augen von den kleinen Kerzen zu den bunten Lichtflecken auf ihrem nackten Körper wandern. Die Wunden waren kaum mehr sichtbar. Es war unglaublich, wie schnell ihr Körper die tiefen Schnitte und Stichwunden, die ihren Leib übersät hatten, geschlossen und geheilt hatte. Sie hatte die Frau, welche sie betreute,
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