Der letzte Aufstand
nach der Wirkungsweise gefragt, aber diese hatte nur gesagt, dass Licht am besten mit Licht behandelt würde. Wir sind Licht, hatte sie gemeint, und deshalb fügen wir unseren Kranken und Verletzten Licht in verschiedenen Frequenzen zu. Nichts heilt besser und schneller.
Livia hatte nicht verstanden, was Melana - so ihr Name - gemeint hatte, aber dass das Licht der kleinen Kerzen sie geheilt hatte, daran bestand kein Zweifel. Je mehr Kraft sie wieder hatte, je gesünder sie sich wieder fühlte, desto mehr wanderten ihre Gedanken zu Pete. Der Arme musste vor Sorgen fast vergehen. Kaum schloss sie ihre Augen, sah sie sein unrasiertes Gesicht, seine wachen, wenn auch meist etwas nervös umherblickenden Augen, und seinen knackigen Hintern. Wenn sie ihm nur eine Botschaft schicken könnte, dachte sie.
Auf dem schwebenden Nachttisch neben ihrem Bett lag ihr Handy, die Tasten immer noch blutverschmiert von ihrem Versuch die Polizei zu verständigen. Doch was nützte ein Telefon, wenn sie in einem Paralleluniversum steckte? Konnten die Signale eines mobilen Telefons den Spalt zwischen den Welten überwinden?
Es war ein milder Tag, der sich draussen vor dem Fenster präsentierte. Die Sonne guckte immer wieder in ihr Zimmer herein und liess ihre sanften Stahlen durch das Zimmer huschen, bevor sie wieder von lockeren Wolken verdeckt wurde.
Als die Türe, so leise wie immer, aufging, drehte Liv ihren Kopf der eintretenden Melana zu.
„Du schläfst gar nicht?“, fragte sie.
„Ich bin nicht mehr müde.“
Melana schritt ans Bett heran. Sie liess ihre feinen Finger über Livs Haut gleiten, dort, wo vor zwei Tagen noch verkrustete Wunden gewesen waren.
„Deine Haut ist wieder glatt und sanft. Heute Abend ist die Behandlung vorüber, denke ich. Wir lassen die Lichter am späten Nachmittag noch einmal über deinen Körper gleiten und tanzen, und dann bist du bereit.“, stellte sie mit ärztlicher Kompetenz fest.
„Es wird gut sein, das Bett mal wieder zu verlassen und die Glieder zu strecken ...“, antwortete Liv.
Melana lächelte.
„Ich werde Tam verständigen, damit er dich heute Abend abholt.“
„Ich will nach Hause ...“, sagte Liv.
„Drei Jahre gehen schnell vorüber, Thekin. Und wer weiss, vielleicht kannst du in den drei Jahren bei uns etwas lernen ...“
„Ich bin aber keine Dienerin, und erst recht nicht für einen jungen, ungebildeten, brutalen Kerl, der mich fast zu Tode gefoltert hat.“
„Tam ist noch jung, Thekin. Du hast recht. Aber er ist bei der Leibgarde in Ausbildung und er schnitzt seit er drei ist. Mein Mann hat ihn unterrichtet. Er ist kein Unmensch, du wirst sehen.“
„Ich werde nicht seine Dienerin!“, sagte Liv energisch.
„Du hast keine andere Wahl.“
☸
Paris, 10 Tage nach „Tag X“
Um Punkt 16.14 Uhr kamen Yeva und Guillaume bei der Ampel an. Theo war per Streife unterwegs zu Kahil und Lea, die ihm bereits ein Zimmer bereitgemacht hatten, und Luc und Danielle würden in genau einer Minute das nächste mündliche Update geben, wobei Yeva und Guillaume sich aber wegen des Einsatzes nicht einloggten.
In drei Minuten würde Mireille vorfahren, vor dem Rotlicht warten müssen und dann ihre Amokfahrt beginnen. Was auch immer ihr jetzt durch den Kopf ging. Was dachte eine Terroristin kurz bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzte? Hatte sie Skrupel? War sie dazu überhaupt fähig oder hatte sie das klassische Profil einer Schwerverbrecherin, die null Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelt anderer Menschen besass? Einfach nicht verstehen konnte, dass andere Menschen auch Schmerzen hatten, auch unter Verlusten litten?
Theos Blick und seine unschuldige Visage wollten Guillaume einfach nicht aus dem Kopf. Was bitte machte solche Menschen zu potentiellen Massenmördern? Wer oder was brachte diese Leute an den Rand ihrer Vernunft?
Als Guillaume mit dem Ständer das Motorrad arretierte und am Rand des Gehsteigs hinstellte, musste er sich dazu zwingen all die Fragen in seinem Kopf abzustellen. Seine ganze Aufmerksamkeit musste jetzt Mireille gehören. Auch wenn er die Sache nicht verstand, vielleicht nie verstehen würde.
„Geh‘n wir die Sache von beiden Strassenseiten an?“, fragte Yeva. Guillaume nickte ihr zu. Yeva überquerte den Fussgängerstreifen.
Danach rollte der Verkehr ruhig an den beiden vorbei, als geschehe nichts Böses auf dieser Welt. Väter und Mütter, die nach einem langen Arbeitstag zu ihren Familien heimkehrten. Söhne, Töchter,
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