Der letzte Aufstand
sprach sie nicht. Sie ass still und spürte, wie die Speise sie wieder kräftigte. Die Wärme des Essens entspannte sie von innen her. Erst als sie den letzten Rest gegessen hatte, schaute sie wieder vom Teller auf.
„Deine Schwester kann wirklich kochen! Wo ist sie?“
„Sie ist wieder heim gegangen. Sie kommt täglich hierher um für mich zu kochen, seit unsere Eltern gestorben sind.“
Liv nickte. „Wie alt bist du?“
„Ich bin siebzehn ...“, antwortete Tam. „Hör mir zu, Thekin. Ich verstehe jetzt, dass du unsere Traditionen nicht nachvollziehen kannst, und dass es in deiner Welt vielleicht eine Schande ist, demjenigen zu dienen, der einen mit dem Vard behandelt hat ...“
„Bei uns gibt es kein Vard.“, antwortete Liv trocken.
„Jedenfalls will ich dich nicht mehr dazu zwingen meine Dienerin zu sein. Aber zurück kannst du auch nicht. König Karel würde dir den Sprung zurück erst in drei Jahren erlauben, wenn die Zeit des Vard vorbei ist.“
Er nahm einen Schluck Tee.
„Was willst du also tun? Willst du davon ziehen und auf den Strassen schlafen und um Essen betteln? Niemand würde dir Almosen geben, weil sie alle wüssten, dass du deiner Aufgabe und deiner Pflicht nicht nachgekommen bist. Zudem würde es meinen Ruf schädigen.“
Liv fiel ihm ins Wort. „Dein Ruf ist mir egal. Es ist nicht meine Pflicht dir zu dienen!“
„Hier bei uns schon, Thekin! Ich kann die Gesetze nicht ändern.“
Liv gab keine weitere Antwort. Sie dachte nach. Jetzt mit gesättigtem Magen ging das schon besser. Tam atmete laut hörbar aus.
„Was willst du tun? Meine Geduld leidet. Ich will dich nicht mehr als meine Gefangene in meiner Besenkammer. Du musst eine Entscheidung treffen. Du bist hier bei uns gestrandet, vielleicht hat das ja seinen Grund? Entweder du beugst dich unseren Gesetzen, oder ...“
Liv schaute auf und widerstand seinem Blick, indem sie zurück starrte.
„Oder was?“
„Oder ich muss dich mit dem Vard töten.“
☸
Paris, 10 Tage nach „Tag X“
17.30 Uhr
Yeva hörte das Auto davon fahren. Sie rüttelte an der Stange, an der sie sich fest gemacht hatte; leider zu gut fest gemacht hatte, aber der Kerl hätte es sofort gemerkt, wenn sie gemogelt hätte. Sie ging mit ihrem Kopf zu den Händen herunter - umgekehrt ging nicht - und schaltete den Begleiter auf aktiv.
„Kahil, Lea, seid ihr da?“
„Ja, wir sind hier. Wo seid ihr?“, kam Leas Antwort einen Augenblick danach.
„Ich bin bei den Barrieren im Häuschen. Der Wärter wurde betäubt, er liegt neben mir, und Guillaume wurde soeben von einem Mann entführt.“
„Was?“, fragte Lea.
„Keine Ahnung, Lea. Alles ging total schnell. Ich bin an der Heizung fest gemacht. Bringt einen Schlüssel für die Handschellen ... meiner hat der Entführer. Und einen Arzt, der Taxifahrer ist auch bewusstlos.“
Zehn Minuten später betrat Yeva zusammen mit Kahil und Lea die Küche der Wachholder Abteilung. Palms war am Telefon, Helena sass wie abwesend am Küchentisch.
„Ich mach dir einen Tee.“, sagte Lea fürsorglich und ging schnurstracks zum Wasserkocher.
„Gerne. Habt ihr Danielle und Luc schon verständigt? Wir müssen Guillaume helfen. Vielleicht können sie herausfinden, wo der Mann ihn hingebracht hat?“
„Helena ist schon dran. Sie hat damit begonnen den Vorfall zu untersuchen, als wir zu dir rannten.“
Palms beendete das Gespräch und steckte sein Handy in die Hemdentasche. Er kam mit ausgestreckter Hand auf Yeva zu.
„Was ist mit dem Wärter und dem Fahrer? Geht es ihnen gut?“
„Der Fahrer ist okay, hat wahrscheinlich einen gebrochenen Unterkiefer, die Wache ist immer noch bewusstlos. Der Arzt vermutet er ist mit einem starken Schlafmittel betäubt worden.“
Palms wandte sich Kahil und Lea zu.
„Das Gelände ist jetzt umstellt. Bei der Abzweigung beim Flugplatz gibt es bereits eine kleine Menschenmenge, die vor dem Auffanglager protestieren will, aber das Militär hat sie im Griff.“
„Weswegen wollen sie protestieren?“, fragte Lea.
„Sie wollen, dass die Kunden sofort hingerichtet werden.“
Einen Moment war es still.
„Im Ernst?“, doppelte Lea nach.
„In der Bevölkerung lauert eine riesige Wut. Die meisten Menschen haben in den letzten vier Jahren jemanden wegen eines Anschlags verloren. Und jetzt richtet sich die Wut gegen die Täter. Das war zu erwarten ...“, sagte Palms. Dann wandte er sich Helena zu. „Hast du etwas über Guillaume rausfinden
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