Der letzte Befehl
sodass man ihr diese Schmach auch immer und immer wieder unter die Nase reiben konnte. Obwohl sie zur Schlachtflotte gehörte, nicht zur Grenzflotte, verspürte Teague ernstliches Mitleid mit dieser Frau. Es war ja nun kaum O’Clearys Schuld, dass ihre Vorgesetzte eine echte Vollidiotin gewesen war und O’Cleary daher nichts anderes mehr übrig geblieben war, als zu kapitulieren, nachdem Crandall ihren gesamten Kampfverband geradewegs in die Katastrophe hineingelotst hatte.
Doch obwohl es natürlich sehr praktisch war, O’Cleary als Sündenbock vor Ort zu haben, ließ sich einfach nicht leugnen, dass die Manty-Raketen, die KV 496 zerstört hatten, unter schlichtweg ungeheuerlichen Beschleunigungsraten aufgekommen waren. Die Berichte, die man voller Zuversicht als ›lächerlich‹ abgetan hatte, basierten wirklich auf Tatsachen – genau wie al-Fanudahi seinen Vorgesetzten wieder und wieder erklärt hatte. Tatsächlich untertrieben besagte Berichte die Bedrohung sogar noch, die von diesen Raketen ausging – und das in einem beträchtlichen Maße. Als brauche es einen weiteren Beweis, dass es im Universum einfach ungerecht zuging, hatte sich Admiral Cheng al-Fanudahis ursprüngliche Abschätzungen vorgenommen – Abschätzungen, die noch auf geringeren Beschleunigungswerten und weniger präziser Treffergenauigkeit basierten – und ihn streng dafür ermahnt, ›das volle Ausmaß der Bedrohung nicht erkannt‹ zu haben ... in genau den Berichten, die Cheng bislang beharrlich ignoriert hatte.
Trotzdem ließ sich nicht gänzlich außer Acht lassen, dass al-Fanudahi die ganze Zeit über recht gehabt hatte. Jetzt nicht mehr. Und so musste der bislang geschmähte Schwarzseher auf einmal Vorträge halten, bei denen ihm die Flaggoffiziere der Schlachtflotte sogar tatsächlich zuhörten. Und nicht nur das: Das Amt für Operationsanalyse wurde endlich aufgefordert, das zu tun, was es eigentlich schon die ganze Zeit über hätte tun sollen. Natürlich wurde das OpAn in seiner Effizienz ein wenig beeinträchtigt, weil man ihm systematisch und so lange Zeit jegliche Finanzierung verweigert hatte, und auch, weil es bislang neunzig Prozent seiner Arbeit auf wohlwollende Analysen diverser Simulationen der Schlachtflotte oder auf allgemeine Probleme der Flotte verschwenden musste, statt sich ernstlich mit etwaigen Bedrohungen der Liga durch äußere Einflüsse befassen zu können. Dergleichen hatte es ja bislang auch nie gegeben. Das bedeutete, so ungeheuerlich und armselig es auch war, dass sich die beiden Einzigen, die tatsächlich mit eben jenen Bedrohungen vertraut waren, im Augenblick in Teagues Büro befanden.
Um nicht gänzlich ungerecht zu werden: Zumindest einige ihrer Kollegen mühten sich derzeit redlich, sich in deren Daten einzuarbeiten. Doch die meisten liefen immer noch herum wie aufgescheuchte Hühner – nein, eher wie kopflose Hühner , ging es Teague durch den Kopf. Sie wussten einfach nicht, wonach sie Ausschau halten mussten – noch nicht –, und Teague war sich sicher, dass sie es auch nicht rechtzeitig herausfinden würden, um eine ganze Kette von Katastrophen zu verhindern.
Zumindest nicht, solange die Idioten, die bei der Navy das Sagen hatten, al-Fanudahi einfach nicht zuhörten. Und mit ›Zuhören‹ meinte sie richtig zuhören, im Sinne von: Informationen nicht nur aufnehmen und zur Kenntnis nehmen, sondern sie auch verarbeiten . Und bislang schienen sie alle immer noch erschreckend wenig geneigt, genau das zu tun.
Gäbe es tatsächlich so etwas wie Gerechtigkeit im Universum, dann würden Cheng Hai-shwun und Admiral Karl-Heinz Thimár schon längst keine Uniform mehr tragen, sondern an irgendeiner Straßenecke kauern und sich Almosen erbetteln , dachte Teague verbittert. Und wenn es wahre Gerechtigkeit gäbe, dann säßen die beiden jetzt hinter Gittern! Bedauerlicherweise hatten beide dafür entschieden zu gute Beziehungen. Es sah sogar danach aus, als würde keiner von ihnen auch nur seines derzeitigen Amtes enthoben werden, trotz dieses katastrophalen Versagens jeglicher Nachrichtendienste, das bei der Schlacht von Spindle so offenkundig geworden war. Und da al-Fanudahi bei diesen Vorträgen, bei denen man ihm endlich zuhörte, ausschließlich schlechte Nachrichten überbrachte, hatte Teague eine recht genaue Vorstellung davon, wer letztendlich die Rolle des Sündenbocks übernehmen müsste, um Chengs und Thimárs wohlgeschützte Hinterteile zu retten.
Doch im Augenblick hörten die Leute
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