DER LETZTE BESUCHER
Und wenn Sie jetzt keine Fragen mehr haben, würde ich gerne das G e spräch beenden . I ch habe noch einen Termin, bei dem ich mich nicht ve r späten möchte.“ Mit diesen Worten e r hob er sich, und Becker blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls aufz u stehen.
„Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung. Vielleicht e r geben sich noch Fragen, dann melde ich mich wieder bei Ihnen. Ach ja, und schreiben Sie mir bitte Ihre Telefo n nummer auf , am besten auch Ihre Privatnummer, damit ich Sie jederzeit e r reichen kann.“
Bauer griff in die Brusttasche und schob Becker seine Visitenkarte über den Tisch : „ Am besten, Sie ve r suchen es auf meinem Handy. Das ist wohl am ei n fachsten. Wo mein Handy ist, da finden Sie auch mich.“
Die Verabschie du ng war förmlich. Auf der Heimfahrt hatte Becker das unbestimmte Gefühl, dass er irgendetwas über hört hatte. Aber er war zu müde, um sich zu konzentr i eren. Morgen war auch noch ein Tag. Er steckte den ang e bissenen Keks in den Mund, den er vorhin schnell in die Jackentasche geschoben hatte, als Bauer das Bespr e chungszimmer betr e ten hatte. Sein Magen knurrte inzwischen ve r nehmlich und deshalb machte er, d ass er nach Hause kam.
12
D aniel hatte es eilig . Es war ein langer Tag gewesen, am Nachmittag hatte sich ein Termin an den anderen gereiht. J etzt wollte er so schnell wie möglich noch ei n mal ins Krankenhaus zu Helen. Es gab so viel, was er ihr u n bedingt sagen musste. Der hässliche Streit am vo r letzten Abend, er hatte wieder einmal die Kontrolle über sich ve r loren. Wie so oft, wenn er das Gefühl hatte, dass sie ihm irgendetwas ve r heimlichte. Immer wieder war da in ihm diese Unruhe, die Angst ve r lassen zu werden. Wenn sie zusammen auf der Straße gingen, beobachtete er argwöhnisch alle entgege n kommende n Passanten. Jeder Blick, der nicht ihm , sondern seiner Frau galt, jedes Lächeln, das sie nicht ihm, sondern einem Vorübergehenden schenkte, versetzte ihn in ate m lose Wut, an der er fast e r stickte.
Bei Gesellschaften sorgte er stets dafür , dass er die Au f mer k samkeit der anderen auf sich lenkte, damit sie möglichst unsichtbar blieb. Er glänzte mit seiner Schla g fertigkeit, fand immer ein Gespräch s thema, mit dem er alle um sich herum zu fesseln vermochte, und wollte doch eigentlich nur von ihr bewundert werden. Dass sie sich im Laufe der Zeit immer mehr in ihr Schnecke n haus zurückgezogen hatte und ihm den Zutritt ve r weigerte, machte ihn rasend vor Zorn . E r war davon überzeugt, dass seine Frau Geheimnisse vor ihm hatte, und das ertrug er nicht. Sie g e hörte ihm, nur ihm , und niemand und nichts du rfte sich zwischen sie stellen. Das sollte ihm nie mehr passieren, hatte er sich geschworen. Nie mehr! Warum verstand sie denn nicht, dass er alles , wirklich alles tun musste, damit der Schutzwall, den er um sie beide und um ihre Liebe g e baut hatte, nicht zum Einsturz kam. Sie hatte ja keine Ahnung, was er alles dafür zu tun imstande war.
Solange er denken konnte, gehörte n Ängste zu seinem Leben , war en zu einem Teil von ihm geworden . Sie hatte n sich in ihn h i neingefressen bis in die tiefsten Winkel seiner Seele . Dort nistete n sie und wartete n , ständig auf der Lauer und bereit, sich mit eisernem Griff in seinem Gehirn fes t zukrallen und jeden vernünftigen Gedanken zu ve r scheuchen. Angst zu ve r sagen, Angst nicht gut genug zu sein, Angst vor Entdeckung, Angst verlassen zu werden, Angst vor der Du nkelheit. Ja, mit der Angst vor der Dunke l heit hatte es a n gefangen damals, als er noch ein kleiner Junge war. Angst, die in ihm hochkroch, wenn er nachts au f wachte und im Du nkeln nach dem Bett der Mutter tastete, das wieder ei n mal leer war.
„Schlaf gut , mein Kleiner. W enn es hell wird und die Vögel si n gen, bi n ich wieder bei dir “, hatte sie am Abend immer gesagt , bevor sie das Haus verließ . Und dann hatte er atemlos vor Angst im Du nkeln wach gelegen und gew artet, bis der Morgen herau f dämmerte und er das Knacken des Schlüssels im Türschloss hörte, das seiner Einsamkeit ein Ende machte. In manchen Nächten hatte er sich au s gemalt, wie es sein würde, wenn es eines Morgens nicht hell würde und alle Vögel stumm blieben. Nach so l chen Nächten schimpfte die Mutter regelmäßig mit ihm, weil sein Bettl a ken wieder ei n mal du rchnässt war.
Und dann eines Tages war es wirklich passiert. Es war bereits taghell draußen, und
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