Der letzte Beweis
mich.«
»Ich möchte Sie nun zu diesen Aussagen befragen und dazu, wie Sie sie verstanden haben.«
»Natürlich«, sagt mein Vater. Als Zeuge in diesem Fall darf ich nicht zu den Anwälten gehören, die meinen Dad vertreten, aber ich helfe den Sterns abends nach Verhandlungsende, Sachen zurück in ihre Kanzlei zu bringen. Nun, da ich meine Zeugenaussage für die Anklage hinter mir habe, bleibe ich meistens noch da, bis Anna Feierabend hat. An den letzten drei Abenden hat das Anwaltsteam meines Dads in einem Konferenzraum bei Stern & Stern sein Kreuzverhör geprobt. Ray Horgan war da, um meinen Dad in die Mangel zu nehmen, und Stern und Marta und Ray und Mina Oberlander, die sie extra engagiert haben, weil sie die Reaktion der Geschworenen einschätzen soll, gingen hinterher die Videoaufzeichnung durch und gaben meinem Dad Tipps. In der Hauptsache wurde ihm empfohlen, kurz und bündig zu antworten und, falls er widerspricht, möglichst keinen unkooperativen Eindruck zu erwecken. Im Kreuzverhör kommt es vor allem für den Angeklagten darauf an, so zu wirken, als hätte er nichts zu verbergen.
»Sie haben die Aussage von John Harnason gehört?«
»Ja.«
»Ist es zutreffend, dass Sie Mr Harnason in einem Gespräch unter vier Augen zu verstehen gaben, dass seine Berufung abgelehnt werden würde?«
»Das ist zutreffend«, sagt mein Dad in dieser einstudierten knappen und prompten Art zu antworten. Mir ist diese Tatsache seit letzten November bekannt, aber die Bestätigung meines Vaters kommt für viele im Gerichtssaal überraschend, und ein spürbarer Ruck geht durch den Raum und durch die Geschworenenbank, wo einige John Harnason gewiss so eigenartig fanden, dass sie ihn für unglaubwürdig hielten. Tommy Molto spitzt offensichtlich verblüfft die dünnen Lippen. Er hat Mel Tooley als Zeugen in der Hinterhand und hatte vermutlich gehofft, meinen Dad fertigzumachen, falls der abgestritten hätte, Harnason informiert zu haben.
»Sie haben Richter Masons Aussage während der Beweiserhebung der Anklage gehört, dass Sie damit gegen etliche Grundprinzipien richterlichen Verhaltens verstoßen haben, nicht wahr?«
»Ich hab seine Aussage gehört.«
»Sind Sie anderer Ansicht als er?«
»Nein.«
»Richter Sabich, war es ungebührlich, mit einem Angeklagten über seinen Fall zu sprechen, während dieser Fall noch nicht entschieden war?«
»Zweifellos.«
»Damit haben Sie gegen die Regel verstoßen, dass bei Gesprächen über einen anhängigen Fall stets beide Parteien anwesend sein sollten, richtig?«
»Vollkommen.«
»Und stand es Ihnen als Richter am Berufungsgericht frei, die Entscheidungen des Gerichts offenzulegen, ehe diese bekannt gemacht wurden?«
»Es gibt keine ausdrückliche Vorschrift, die dies untersagt, Mr Molto, aber ich wäre von jedem anderen Gerichtsmitglied, das so etwas getan hätte, enttäuscht gewesen, und ich halte es für eine schwerwiegende Fehleinschätzung meinerseits.«
Als Reaktion auf dieses Eingeständnis meines Vaters lässt sich Molto von meinem Dad bestätigen, dass ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen am Berufungsgericht ein verfrühtes Bekanntwerden von richterlichen Entscheidungen verhindern sollen und dass auch Referendare und andere Mitarbeiter bei ihrer Einstellung ausdrücklich zum Stillschweigen ermahnt werden.
»Nun, Richter Sabich, wie viele Jahre sind Sie schon Richter?«
»Einschließlich meiner Zeit als Prozessrichter am Kammergericht?«
»Genau.«
»Seit über zwanzig Jahren.«
»Und wie oft haben Sie während dieser vollen zwei Jahrzehnte als Richter eine noch nicht bekannt gegebene Entscheidung nur einer der beiden Parteien verraten?«
»Das habe ich nie getan, Mr Molto.«
»Dann war Ihr Verhalten also nicht nur ein schwerwiegender Verstoß gegen die Regeln, sondern auch gegen die Art, wie Sie Ihr Amt stets ausgefüllt haben?«
»Es war eine schlimme Fehleinschätzung.«
»Es war doch wohl mehr als nur eine Fehleinschätzung, Richter Sabich. Es war ungebührlich.«
»Wie ich schon sagte, Mr Molto, es gibt keine ausdrückliche Vorschrift, aber ich bin mit Richter Mason einer Meinung, dass es zweifellos falsch war, Mr Harnason über den Ausgang des Verfahrens in Kenntnis zu setzen. In der damaligen Situation erschien es mir als reine Formalität, weil ich wusste, dass der Fall endgültig abgeschlossen war. Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass Mr Harnason daraufhin die Flucht ergreifen könnte.«
»Sie wussten, dass er gegen Kaution auf
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