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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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freiem Fuß war?«
    »Selbstverständlich. Ich habe die Kaution gewährt.«
    »Genau darauf wollte ich hinaus«, sagt Molto. Klein, kompakt, mit seiner bauchigen Form und dem verbrauchten Gesicht, wendet sich Tommy schwach lächelnd den Geschworenen zu. »Sie wussten, dass er für den Rest seines Lebens ins Gefängnis wandern würde, sobald seine Verurteilung bestätigt wäre.«
    »Natürlich.«
    »Aber Sie sind nicht auf den Gedanken gekommen, dass er fliehen könnte?«
    »Bis dahin war er nicht geflohen, Mr Molto.«
    »Aber nach der Entscheidung Ihres Gerichts blieben ihm realistischerweise keine Möglichkeiten mehr, nicht wahr? Sie waren doch sicher, dass das Oberste Bundesstaatsgericht seinen Fall ablehnen würde, oder etwa nicht? Sie sagten Harnason, dass für ihn Endstation war, richtig?«
    »Das ist richtig.«
    »Und da wollen Sie uns erzählen, dass Sie, der Sie wie lange Staatsanwalt waren - fünfzehn Jahre?«
    »Fünfzehn Jahre.«
    »Nachdem Sie fünfzehn Jahre Staatsanwalt und anschließend zwanzig Jahre Richter waren, kam Ihnen nicht in den Sinn, dass dieser Mann im Voraus wissen wollte, wie die Entscheidung ausfallen würde, um gegebenenfalls zu fliehen?«
    »Er machte einen sehr aufgewühlten Eindruck, Mr Molto. Er sagte mir, wie er das auch hier bei seiner Zeugenaussage zugegeben hat, dass er von Angst überwältigt war.«
    »Er hat Sie ausgetrickst?«
    »Ich glaube, Mr Harnason hat ausgesagt, dass er den Beschluss zur Flucht erst fasste, nachdem er von der Entscheidung erfahren hatte. Es war, wie gesagt, ein Fehler, ihm die Entscheidung zu verraten, unter anderem auch deshalb, weil damit das Risiko entstand, dass er untertauchen würde. Und doch, zum damaligen Zeitpunkt kam mir nicht in den Sinn, dass er die Flucht ergreifen würde.«
    »Weil Sie mit den Gedanken woanders waren?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Nämlich bei der Frage, wie Sie Ihre Frau vergiften könnten, nicht wahr?«
    Das sind die Schliche und Tricks im Gerichtssaal. Molto weiß, dass mein Dad wahrscheinlich Angst hatte, mit seiner Geliebten erwischt zu werden. Aber das kann er nicht sagen. Er muss sich mit einem schlichten »Nein« als Antwort begnügen.
    »Richter Sabich, würden Sie sagen, dass Sie Mr Harnason einen Gefallen erwiesen haben?«
    »Ich weiß nicht, ob ich das so nennen würde.«
    »Nun, er bat Sie um etwas Ungebührliches, und Sie taten ihm den Gefallen. Richtig?«
    »Richtig.«
    »Und als Gegenleistung - als Gegenleistung wollten Sie von ihm wissen, wie das war, jemanden zu vergiften, nicht wahr?«
    Eine goldene Regel beim Kreuzverhör besagt, dass man niemals eine Frage stellen sollte, deren Antwort man nicht kennt. Wie mein Vater mir oft genug erklärt hat, ist diese Regel nicht unbegrenzt anwendbar. Genauer gesagt lautet die Regel, dass man niemals eine Frage stellen sollte, deren Antwort man nicht kennt - wenn einem die Antwort wichtig ist. In diesem Fall muss Molto das Gefühl haben, auf sicherem Boden zu sein. Falls mein Vater abstreitet, danach gefragt zu haben, wie das war, jemanden zu vergiften, wird Molto Harnasons Glaubwürdigkeit untermauern, indem er die Teile des Gesprächs aufzählt, die mein Dad bereits bestätigt hat.
    »Es gab keine »Gegenleistung«, Mr Molto.«
    »Ach nein? Wollen Sie damit sagen, dass Sie gegen all diese Regeln verstießen und Mr Harnason eine Information zukommen ließen, die er unbedingt haben wollte - ohne den Gedanken gehegt zu haben, dass Mr Harnason auch etwas für Sie tun könnte?«
    »Ich habe es getan, weil ich Mitleid für Mr Harnason empfand und aufgrund von Schuldgefühlen, weil ich ihn, als Sie und ich noch beide junge Staatsanwälte waren, wegen eines Delikts ins Gefängnis geschickt habe, von dem ich heute glaube, dass es diese Strafe nicht rechtfertigte.«
    Überrumpelt starrt Tommy meinen Dad an. Er weiß - genau wie jeder andere im Saal -, dass mein Dad die Geschworenen nicht nur an seine frühere Beziehung zu Tommy erinnern will, sondern auch daran, dass Anklagevertreter manchmal zu weit gehen.
    »Also, Sie haben Mr Harnasons Aussage gehört?«
    »Das hatten wir bereits geklärt.«
    Die leicht schnippische Antwort ist das erste Anzeichen dafür, dass mein Dad die Situation nicht völlig unter Kontrolle hat. Stern lehnt sich zurück und sieht ihm in die Augen, eine Aufforderung an ihn, sich zusammenzureißen.
    »Wollen Sie behaupten, Mr Harnason habe gelogen, als er aussagte, Sie hätten ihn gefragt, wie es war, jemanden zu vergiften?«
    »Ich habe das Gespräch

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