Der letzte Beweis
wenn die Probe echt wäre«, sagt Stern, »würde das lediglich beweisen, dass Ihr Vater der Liebhaber des Opfers war. Sie werden mir verzeihen, wenn ich ganz unverblümt spreche, aber die Beweislage im Prozess machte deutlich, dass Ihr Vater nicht der einzige Mann war, der zum Zeitpunkt des Mordes in diese Kategorie fiel. Eine durchaus glaubhafte Vermutung ist, dass jemand anderes Ihren Vater an jenem Abend mit ihr zusammen sah und sie in einem Anfall von Eifersucht tötete, nachdem er gegangen war.«
Anna hat mir gestanden, dass sie der erste Prozess meines Vaters, für den sie sich schon als Kind interessiert hat, fasziniert wie einen Trekkie. Vor Kurzem hat sie noch mal Sterns Exemplar des Prozessprotokolls gelesen, hauptsächlich, weil ich mich nicht dazu überwinden konnte. Danach hat sie exakt dieselbe Theorie aufgestellt wie Stern. Die Erklärung klang auf Anhieb völlig plausibel, aber aus Sandys Mund klingt sie sogar noch überzeugender.
»Und deshalb, Nat, stehe ich, selbst wenn ich gewisse Zweifel hätte, gefühlsmäßig auf der Seite Ihres Vaters. Die Beweise in diesem Fall sind nun wirklich alles andere als überzeugend. Meiner Meinung nach ist es der Staatsanwaltschaft noch nicht mal gelungen, zweifelsfrei zu beweisen, dass Ihre Mutter vergiftet wurde. Ich denke, wäre Richter Yee nicht durch die DNS-Ergebnisse beeinflusst gewesen, hätte er nach der Beweisaufnahme der Staatsanwaltschaft unserem Antrag auf Klageabweisung möglicherweise stattgegeben. Und es gibt noch viele andere Details, die nicht zu dem passen, was Molto und Brand denken.«
»Er hat sein Beweisgefüge geschickt aufgebaut.«
»Aber bei Indizienprozessen spricht man oft von einem Beweisgefüge, und dieser Terminus kann beiden Seiten dienlich sein. Zieht man einen Baustein heraus, bricht das ganze Gefüge in sich zusammen. Und wir werden an einigen Stellen kräftig ziehen.«
»Darf ich fragen, wie?«
Er lächelt wieder, ein Mann, der seine Geheimnisse schon immer genossen hat.
»Mehr dazu«, sagt er, »nachdem Sie ausgesagt haben.«
»Werden Sie diesen ganzen Kram mit seinem Computer aushebeln können? Das war ziemlich verheerend.«
»Gut, dass Sie darauf zu sprechen kommen.« Er hebt einen Finger. »Marta wird das noch ausführlicher mit Ihnen durchgehen, aber ich hatte gehofft, dass Sie mir in diesem Punkt ein wenig weiterhelfen können.«
»Ich?«
»Wir haben gedacht, wir stellen Ihnen ein paar Fragen zu Computern. Kennen Sie sich damit aus?«
»Einigermaßen. Jedenfalls nicht so gut wie Anna oder etliche andere Leute, die ich kenne.«
»Und Ihr Vater? Ist der technisch versiert?«
»Nur, falls Sie es technisch versiert finden, dass man weiß, wie man einen Computer einschaltet. Ich würde ihn irgendwo zwischen einem hilflosen Trottel und einem totalen Ignoranten ansiedeln.«
Stern lacht laut auf. »Dann können Sie sich also nicht vorstellen, dass er eine Schredder-Software heruntergeladen und sämtliche E-Mails entfernt hat?«
Bei der Vorstellung muss ich kichern. Zugegeben, ich möchte glauben, dass mein Dad unschuldig ist. Aber ich weiß mit einer Art übernatürlichen Gewissheit, so sicher, wie ich weiß, dass es die Schwerkraft gibt, dass er so etwas niemals allein hinbekommen hätte.
»Wir haben uns überlegt, wir könnten ein paar Dinge am Computer Ihres Vaters demonstrieren, nur um den Geschworenen vor Augen zu führen, wie unwahrscheinlich die Theorie der Staatsanwaltschaft ist. Sie könnten dafür aus verschiedenen Gründen der richtige Zeuge sein.«
»Wie Sie meinen«, antworte ich.
Stern wirft einen Blick auf seine Uhr, eine goldene Cartier, gleichsam das Symbol für Sterns elegante Präzision. Marta wartet.
An der Tür sage ich: »Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben, Mr Stern.«
»Sandy«, korrigiert er.
Kapitel 29
Nat, 22. Juni 2009
Nach meiner Besprechung mit Marta wartet mein Dad auf mich. Er hat die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt und den Knoten der Seidenkrawatte weit vom Kragen weggezogen. Er hat gesagt, dass er nicht gut schläft, und nach dem langen Tag im Zeugenstand sieht er völlig erledigt aus. Die Haut um seine Augen scheint faltiger zu sein, und er hat fast keine Farbe mehr im Gesicht. Wahrscheinlich ist Hoffnungslosigkeit plus Angst die schlimmste Gefühlskombination, die man sich vorstellen kann, denke ich.
»Harter Nachmittag«, sage ich.
Er zuckt die Achseln. In letzter Zeit nimmt mein Dad oft einen völlig trüben, abwesenden Blick
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