Der letzte Beweis
eindeutig ab. Genau im richtigen Moment, dachte Tommy. Verdammt, genau im richtigen Moment, sodass Sandy in die Kameras lächeln konnte, wenn er gewonnen hatte.
»Interessanter Fall«, sagte Stern.
Draußen im Gerichtssaal packten Tommy und Rory und Ruta den Prozesswagen voll. Brand achtete peinlich genau darauf, in welcher Reihenfolge er die Beweisstücke verstaute, und alle drei versuchten sie, es genauso hinzubekommen, wie Jim es haben wollte, weil im Augenblick keinem von ihnen danach war, sich mit Brand anzulegen, wenn der sich mal wieder darüber aufregte, dass nicht alles so war, wie es seiner Meinung nach sein sollte.
Milo Gorvetich traf ein, als Tommy gerade zurück in die Staatsanwaltschaft gehen wollte. Milo war klein, kleiner als Tommy oder Stern, mit buschigem weißem Haar und einem vom Pfeiferauchen gelbfleckigen Ziegenbart. Brand war auf die Idee gekommen, ihn als Sachverständigen zu nehmen, weil er vor zwanzig Jahren mal ein Programmierseminar bei Milo absolviert hatte. Als erstes Mitglied der Footballmannschaft, das sich je in Gorvetichs Seminarraum blicken ließ, hatte Brand sich immerhin so gut geschlagen, dass er die Prüfung bestand. Aber jetzt war Gorvetich ein alter Mann. Er schwafelte und hatte seinen Schwung verloren. Sandys jungdynamische Cracks hatten ihn regelrecht vorgeführt, und mittlerweile war Tommy nicht mal mehr sicher, ob er ihm wirklich trauen konnte. Er erzählte Milo, was passiert war, und die Augen des alten Burschen weiteten sich. Tommy fürchtete, dass er so gut wie keine Ahnung hatte.
Tommy ging zusammen mit den beiden Frauen rüber in die Staatsanwaltschaft. Brand war in seinem Büro, hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und kaute wutschnaubend auf einem Strohhalm herum. Brand besaß viele der körperlichen Segnungen, um die Tommy andere Prozessanwälte jahrelang beneidet hatte. Er war groß und stattlich und gut aussehend und verströmte jene Aura von stählerner Kraft, die Geschworene bei Anklägern ganz besonders schätzten. Aber ihm fehlte eine körperliche Eigenschaft, die Tommy besaß, und die war nahezu unerlässlich, um Prozesse zu gewinnen, nämlich die Fähigkeit, ohne viel Schlaf auszukommen. Jim brauchte acht Stunden, und wenn er die nicht bekam, wurde er unleidlich wie ein kleines Kind. Offensichtlich hatte er gestern hier eine lange Nacht verbracht, mit den Technikern gearbeitet und versucht, sich Gegenargumente für die neue Selbstmordtheorie der Verteidigung zu überlegen. Im Papierkorb neben seinem Schreibtisch lag die Zellophanverpackung des Imbisses, den er sich am Automaten gezogen hatte, zusammen mit den rosa Überresten der Einschweißfolie, die sie von Sabichs Computer gezogen hatten, ehe die Siegelbänder heute Morgen im Gerichtssaal entfernt worden waren.
»Das passt ja mal wie die Faust aufs Auge«, höhnte Brand. »Das Opfer kommt aus dem Totenreich zurück, um zu erklären, dass es dem Angeklagten die ganze Chose angehängt hat? Hör mir bloß auf. Im Ernst. Das ist ausgemachter Schwachsinn. Den einen Tag sagen die, es war Selbstmord. Den anderen Tag sagt sie, Ganz genau, und ich wollte ihn damit fertigmachen.«
Tommy setzte sich auf den Holzstuhl neben Brands Schreibtisch. Auf dem Tisch stand ein neues Foto von Jody und den Mädchen, und Tommy betrachtete es einen Moment.
»Hübsche Frauen«, sagte Tommy.
Brand lächelte schwach. Tommy sagte ihm, dass Gorvetich gekommen war.
»Was hat er gesagt?«, fragte Brand.
»Er hat gesagt, mit einem Blick auf den Kalenderclient müsste feststellbar sein, wann das Objekt erstellt wurde. Ich hab's nicht ganz kapiert, aber ich dachte, du vielleicht. Mit >Objekt< meint er die Karte?«
»Richtig.« Brand überlegte einen Moment, während er weiter auf seinem Strohhalm kaute. »Ich glaube, das Kalenderprogramm speichert das Datum, an dem das Objekt erstellt wurde, als Teil des Objekts. Ich glaube, das hat er mir auch schon am Telefon gesagt.«
»Aber wir hatten Rustys Computer doch seit November letzten Jahres unter Verschluss, oder?«
»Nicht ganz. Seit Anfang Dezember, um genau zu sein. Er war einen Monat im Berufungsgericht bei George Mason untergebracht, während wir uns darüber gestritten haben, was wir uns ansehen dürfen und was nicht. Erinnerst du dich?«
Tommy erinnerte sich. Er hatte schon gefürchtet, die Berufungsrichter würden über die Straße marschiert kommen und das Bezirksgebäude belagern. Wenn man anfing, die Nase in ihre Angelegenheiten zu stecken, reagierten
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