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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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stelle, ob ich es ernsthaft für möglich halte, dass meine Mutter sich umgebracht und alles so arrangiert hat, damit mein Vater für ihren Tod vor Gericht gestellt wird - wenn ich mich das frage, überfällt mich die grausame Erkenntnis, dass irgendein tief in meinem Inneren verborgenes Messinstrument diese Möglichkeit als absolut glaubwürdig einstuft.
    Und es passt alles zusammen. Deshalb sind nur Fingerabdrücke von meinem Dad auf dem Phenelzinfläschchen. Deshalb hat sie ihn losgeschickt, um Wein und Käse zu kaufen. Deshalb wurden die Spuren der Phenelzinrecherchen auf seinem Computer nicht mit der Schredder-Software entfernt.
    »Aber warum hat sie sich dann mit einem Mittel vergiftet, das als Todesursache leicht übersehen wird?«, fragt mein Vater. Das ist sein erster richtiger Beitrag zu dem Gespräch.
    »Tja, ich glaube«, sagt Sandy - er verstummt, um kurz trocken zu husten -, »dass es so noch belastender ist. Und natürlich verweist es irgendwie auf den Fall Harnason, bei dem Sie den Vorsitz hatten und über den Barbara gut informiert war.«
    »Es ist nur dann belastend«, entgegnet mein Vater, »wenn es entdeckt wird.«
    »Auftritt Tommy Molto«, antwortet Stern. »Bei eurer Vergangenheit, würde Tommy da tatsächlich zulassen, dass der vorzeitige Tod einer weiteren Frau, die Ihnen nahesteht, ohne gründliche Ermittlung zu den Akten gelegt wird? Barbara hat Tommy zweifellos als Ihren eingeschworenen Feind betrachtet.«
    Mein Vater schüttelt einmal kurz den Kopf. Anders als seine Anwälte ist er nicht vollständig überzeugt.
    »Warum hat sie nicht ihren Namen druntergesetzt?«, fragt er.
    »Weil es auch so offensichtlich ist, oder?«
    »Und wieso hängt sie mir die Sache zuerst an und holt mich dann so wieder raus aus der Patsche?«
    Sandy blickt mich an, nicht um zu sehen, wie ich reagiere, sondern als Demonstration.
    »Rusty, Sie wieder auf die Anklagebank zu bringen war eine exquisite Vergeltung für Ihre Untreue. Aber Sie für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter zu bringen, das wäre zu weit gegangen, vor allem mit Rücksicht auf Nat.«
    Mein Vater denkt darüber nach. Sein Verstand arbeitet offensichtlich langsamer als sonst.
    »Es ist ein Trick«, sagt mein Vater dann. »Wenn es von Barbara stammt, ist es ein Trick. Wie mit unsichtbarer Tinte. Sobald wir uns drauf verlassen, tut sich irgendwas auf, was wir jetzt übersehen.«
    »Tja«, sagte Sandy, »das mussten aber dann Matteus und Ryzard rausfinden können.« Er ist der Einzige, der sich weigert, die beiden Computerexperten Hans und Franz zu nennen.
    »Die werden nicht besser sein als sie«, sagt mein Vater mit Nachdruck.
    Mein Dad besänftigte meine Mom stets, indem er sie mit Komplimenten überhäufte. Über ihre Kochkünste. Ihr Aussehen. Ich glaube, sie waren alle ehrlich gemeint, wenngleich es ihn im Grunde ärgerte, dass sie überhaupt Lob brauchte. Aber eines sagte er immer mit absoluter Aufrichtigkeit: »Barbara Bernstein ist der intelligenteste Mensch, den ich kenne.« Daher geht er jetzt davon aus, dass sie jedem hier im Raum gedanklich voraus war. Es ist beinahe rührend, würde sich dahinter nicht die Überzeugung verbergen, dass die Absichten meiner Mutter letztlich längst nicht so gutartig waren, wie Stern soeben vermutet hat. Sie hatte nicht bloß vor, ihm Angst einzujagen, meint mein Dad. Sie spielt noch aus dem Grab heraus ein bösartiges Spiel mit ihm.
    Etwa zehn Minuten später meldet Sandys Sekretärin, dass Hans am Telefon ist. Die Experten sind mit der Untersuchung des Computers fertig. Selbst Gorvetich hält die Weihnachtskarte für echt. Sie wurde an dem Nachmittag erstellt, bevor meine Mom starb, allem Anschein nach nur wenige Minuten, ehe Anna und ich zum Abendessen kamen. Stern informiert das Büro des Richters, und alle Anwälte werden zurück zum Gericht beordert, damit die drei Computerexperten Richter Yee Bericht erstatten können. Wir brechen auf und steigen unten in der Garage in Sandys Cadillac, um das kurze Stück zurückzufahren.
    »Schlechter Tag für Tommy«, sagt Marta. »Ich hätte gern sein Gesicht gesehen, als Gorvetich ihm gesagt hat, dass die Karte echt ist.«
    Jeder in Sterns Büro war davon ausgegangen, dass die Experten zu diesem Urteil gelangen würden. Wir wussten alle, dass mein Dad weder die Zeit noch die technischen Fähigkeiten hatte, so etwas zu inszenieren.
    Der Gerichtssaal wirkt wie eine Geisterstadt, als wir dort ankommen. Wochenlang herrschte hier heilloses Gedränge, die Bänke im

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