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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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er die besseren Argumente hatte. Konnte er die Weihnachtskarte erstellt und seine Abdrücke auf dem Phenelzin und die Internetrecherchen auf seinem Computer hinterlassen haben? Tommy und Brand konnten einpacken. Wenn sie versuchten, die neue Beweislage zu erklären, mussten sie ihre Theorie um eine weitere Etage aufstocken, dabei hatten sie das Haus bereits gebaut und die Geschworenen darin herumgeführt. Klar, wenn ihnen erlaubt worden wäre, den Beweis dafür anzutreten, dass Rusty bereits einmal ungestraft eine Frau getötet hatte, dann hätten die Geschworenen ihnen vielleicht geglaubt, dass er einen weiteren Mord derart minutiös geplant hatte. Aber in dieser Phase des Prozesses würde Yee seine Entscheidung nicht mehr revidieren. Und nach bisheriger Lesart war ja nicht Rusty, sondern Barbara der Computerfreak, der wusste, wie man die Karte im September säte, damit sie am Ende des Jahres erblühte.
    Falls die Staatsanwaltschaft weiter auf ihrer Anklage beharrte, würde Yee sie wahrscheinlich anstandslos abweisen. Das war dem Richter gestern am Gesicht abzulesen gewesen. Sie konnten natürlich versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass die Geschworenen ein Urteil fällen sollten, da ausschließlich ihnen das Recht oblag, zu entscheiden, welchen Zeugen zu glauben war. Doch Yee würde das durchschauen. Das Problem war nicht die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Nein, die Ankläger konnten nicht zweifelsfrei beweisen, dass hier kein Suizid, sondern ein Mord vorlag. Das Ganze war eine Nullmenge, wie die Mathematiker sagen würden - die Beweise liefen ins Leere.
    Somit standen sie, wo sie standen. Wenn sie die Anklage jetzt fallen ließen, wären sie die Guten, die nur ihre Arbeit getan und aus den Beweisen die vermeintlich offensichtlichen Schlüsse gezogen hatten. Wenn sie weitermachten, wie Brand das mit Sicherheit wollte, wären sie fanatische Glaubenskrieger, die unfähig waren, die Wahrheit zu akzeptieren.
    Inzwischen war Tommy, nachdem er noch einmal alles durchdacht hatte, was er in der Nacht zuvor erwogen hatte, in der Marmorlobby des alten Bezirksgebäudes angekommen und grüßte die bekannten Gesichter, die zur Arbeit eintrafen. Niemand kam rüber, um mit ihm zu plaudern, was ein Zeichen dafür war, welch tiefe Spuren die Berichterstattung in den Abendnachrichten hinterlassen hatte. Goldy, der Fahrstuhlführer, der schon alt ausgesehen hatte, als Tommy vor dreißig Jahren hier angetreten war, brachte ihn nach oben, und er betrat das Büro.
    Am Ende des langen dämmrigen Gangs sah er Brand, der auf ihn wartete. Es würde ein schwieriges Gespräch werden, und als Molto auf ihn zuging, suchte er schon nach Worten und wünschte, er hätte sich besser überlegt, was er einem Mann sagen würde, der nicht bloß sein loyalster Staatsanwalt war, sondern auch sein bester Freund. Als Tommy noch etwa fünfzehn Meter entfernt war, fing Brand plötzlich an zu tanzen.
    Tommy blieb verdutzt stehen und beobachtete Jim, der Hip-Hop-Schritte machte, wie sie Profifootballer in der Endzone vollführten. Er kannte Brand gut genug, um sich denken zu können, dass Jim, dem in seiner aktiven Zeit so mancher Touchdown gelungen war, diese Schritte vor dem Badezimmerspiegel geübt hatte, während er bedauerte, eine Generation zu früh geboren zu sein.
    Brand tänzelte Tommy jetzt entgegen, und als er näher kam, hörte Molto ihn singen, auch wenn es keine richtige Melodie war. Jedes Mal wenn er von einem Fuß auf den anderen hüpfte stieß er ein paar Worte aus.
    »Rus-ty.
    Weg mit dir.
    Rus-ty.
    Weg mit dir.
    Rus-ty.
    Ab mit dir.
    Rus-ty.
    Ab mit dir.
    Rus-ty.
    Ab in den Knast.«
    Obwohl er ziemlich aus dem Rhythmus gekommen war, schmetterte er die letzte Zeile aus vollem Hals, die Arme weit ausgebreitet. Einige Sekretärinnen, Ermittler und Staatsanwälte waren stehen geblieben, um sich den Auftritt anzuschauen.
    »Zugabe«, sagte einer von ihnen trocken, und der ganze Flur lachte los.
    »Was ist passiert?«, fragte Molto.
    Brand war zu aufgekratzt für Erklärungen. Mit einem breiten Lächeln kam er auf Tommy zu und beugte sich vor, um seinen gut zwanzig Zentimeter kleineren Boss kräftig zu umarmen. Dann schob er den Oberstaatsanwalt in dessen Büro, wo schon jemand wartete. Es war Gorvetich, der Tommy irgendwie an eine zottelige Version des alten Edward G. Robinson erinnerte.
    »Sagen Sie's ihm«, forderte Brand den Professor auf. »Milo hatte gestern Abend noch eine wunderbare Idee.«
    Gorvetich kraulte kurz seinen gelblichen

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