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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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doch wohl klar, dass es nur eine Erklärung dafür gibt, warum Rusty sich auf einen Deal einlässt«, sagte Brand. »Nämlich?«
    »Er hat seine Frau umgebracht, sonst würde er sich nicht wegen Justizbehinderung schuldig bekennen wollen.«
    »Und wenn er seine Frau nicht umgebracht, aber den Computer manipuliert hat?«
    »Er hätte den Computer nur dann manipuliert, wenn er sie umgebracht hat«, erwiderte Brand.
    Das war die übliche Logik der Rechtsprechung: Wenn jemand floh oder irgendwas verdeckte oder log, war das der Beweis für seine Schuld. Aber das hatte Tom noch nie nachvollziehen können. Warum sollte sich jemand, der fälschlich beschuldigt wurde, an die Regeln halten? Warum sollte jemand, der erkannte, dass die Mühlen des Gesetzes klapperten und hakten und völlig unrund liefen, nicht einfach sagen: »Ich traue diesem kaputten Apparat nicht«? Ein unschuldiger Angeklagter hatte doch wohl noch mehr Grund zu lügen als ein schuldiger. So sah Tommy das. Schon immer.
    Als er Jim seine Ansicht darlegte, schien der tatsächlich darüber nachzusinnen. Es kam selten vor, dass er Brand so nachdenklich erlebte wie jetzt. Aber es stand viel auf dem Spiel, und keiner von ihnen hatte vorhergesehen, dass sie an diesen Punkt kommen würden.
    Brand hob den Football auf, den er zwischen seine Füße gelegt hatte, und warf ihn ein paarmal in die Luft. Er war dabei, eine Entscheidung zu treffen. Das merkte Tommy ihm an.
    »Ich finde, wir sollten das Angebot annehmen«, sagte er.
    Tommy antwortete nicht. Er erschrak ein wenig, als Brand das sagte, obwohl er wusste, dass er recht hatte.
    »Ich finde, wir sollten das Angebot annehmen«, wiederholte Brand. »Und ich sag dir auch, warum.«
    »Warum?«
    »Weil du es verdient hast.«
    »Ich?«
    »Ja, du. Sandy hat dir heute richtig was um die Ohren gehauen. Und das war bloß ein Vorgeschmack. Falls Rusty aus der Sache mit einem Freispruch rauskommt, wirst du dir kübelweise Mist darüber anhören müssen, was du damals gestanden hast, damit sie die DNS aus dem ersten Fall wegerklären können. Die werden behaupten: >Und alles nur, weil Molto damals die Beweise verfälscht hat.<«
    Tommy nickte. Das war ihm mittlerweile auch klar geworden. Wieso hatte er das nicht schon die ganze Zeit gesehen? Wahrscheinlich, weil er die Beweise nicht verfälscht hatte.
    »Okay, aber wenn Sabich sich der Justizbehinderung schuldig bekennt - ein ins Oberste Bundesstaatsgericht gewählter Richter, der in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung aufsteht und zugibt, dass er Beweise manipuliert hat, um einer Verurteilung zu entgehen -, wenn er das macht, dann werden die Leute wissen, was er ist. Sie werden sagen, er ist ein Mörder, der zweimal ungestraft davongekommen ist. Vielleicht werden sie dich kritisieren, weil du das Angebot angenommen hast. Aber Yee wird dir den Rücken stärken, da bin ich fast sicher. Basil wird eine von diesen Reden halten, die Richter immer halten, wenn sie froh sind, einen Fall loszuwerden - er wird darüber reden, was für eine kluge Lösung das doch ist. Am Ende werden die Leute erkennen, dass du einen richtig üblen Kerl richtig lange verfolgt und schließlich in den Knast gebracht hast, wo er hingehört. Du wirst ihm Ehre und Ansehen nehmen. Und das hast du verdient.«
    »Ich kann meine Arbeit nicht tun, indem ich darüber nachdenke, was ich verdient habe.«
    »Du kannst deine Arbeit tun, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsprechung gewahrt bleibt. Und wie du das kannst. Und du solltest es tun.«
    Brand packte Tommys Ego in Geschenkpapier und band ein Schleifchen drum.
    »Du hast es verdient«, sagte Brand. »Nimm das Angebot an, und du bist das Problem los. Wenn du willst, kannst du nächstes Jahr für den Posten des Oberstaatsanwalts kandidieren.«
    Das schon wieder. Tommy überlegte kurz. Er hatte eine Kandidatur nie ernsthaft in Erwägung gezogen, höchstens mal unter der Dusche davon geträumt. Er sagte Brand, was er ihm vorher schon gesagt hatte, dass er, wenn überhaupt, für ein Richteramt kandidieren würde.
    »Ich habe ein einundzwanzig Monate altes Kind«, sagte Tommy. »Ich brauche einen Job, den ich fünfzehn Jahre behalten kann.«
    »Und ein zweites ist unterwegs«, sagte Brand.
    Tommy lächelte. Er spürte, wie ihm das Herz aufging. Er hatte ein gutes Leben. Er hatte hart gearbeitet und war anständig geblieben. Er würde es nie laut aussprechen, aber was Brand gesagt hatte, stimmte. Er hatte es verdient. Er hatte es verdient, als

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