Der letzte Beweis
zehn Minuten lautlos geweint, und ihr Make-up ist völlig verschmiert. Er bedenkt sie mit seinem komplexen kleinen Lächeln, dann sieht er mich an und nickt. Er wendet sich ab und legt, ohne dass irgendwer es ihm sagt, die Hände auf den Rücken. Er ist für diesen Augenblick bereit. Mir kommt der Gedanke, dass er ihn in seinen Träumen wahrscheinlich schon hundertfach durchlebt hat.
Manny, der Deputy Sheriff, legt meinem Dad Handschellen an. Er flüstert ihm irgendwas zu, will sich wahrscheinlich vergewissern, dass sie nicht zu eng sind, dann schiebt er meinen Dad zu einer Seitentür, hinter der er in einer kleinen Zelle warten wird, bis man ihn zusammen mit den übrigen Angeklagten, die heute Morgen verurteilt wurden, zum Gefängnis transportiert.
Mein Vater verlässt den Gerichtssaal, ohne auch nur noch einmal zurückzuschauen.
Kapitel 41
Tommy, 4. August 2009
Sommer in all seiner milden Süße. Es war fünf Uhr nachmittags, und Tommy gehörte zu der Schwadron von Vätern, die ihren Kindern über den Spielplatz folgten, um geplagte Mütter in der Stunde vor dem Abendessen zu entlasten. Das hier war fraglos Tomasos Lieblingsplatz auf Erden. Kaum war Tommys Sohn hier, rannte er auch schon von einem Spielgerät zum nächsten, fasste das kleine Karussell an, hievte sich auf die Kletterspinne und sprang wieder runter. Tommy, der stets einen Schritt hinter ihm war, spürte förmlich die Qual seines Zweijährigen, nicht alles auf einmal machen zu können.
Dominga hatte mit der zweiten Schwangerschaft mehr Probleme als mit Tomasos. Sie litt unter morgendlicher Übelkeit und ständiger Erschöpfung, und sie klagte darüber, dass sie sich in der Hitze aufgequollen fühlte wie eine überreife Frucht. Da Tommy nun offiziell dem Ende seiner Amtszeit entgegensah, fiel es ihm leichter, rechtzeitig aus dem Büro zu kommen, und er versuchte, spätestens um halb fünf zu Hause zu sein, um sich um seinen Sohn zu kümmern. Wenn Tomaso und er vom Spielplatz nach Hause kamen, schlief Dominga oft tief und fest. Tomaso krabbelte dann über den schlummernden Körper seiner Mutter und versuchte, sich in ihre Arme zu schmiegen. Dominga lächelte, ehe sie sich bewegte und ihren Kleinen an sich drückte, verdreckt und innig geliebt.
Das Leben war schön. Tommy ging stramm auf die sechzig zu, und sein Leben war besser als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt. Vor Jahrzehnten hatten der erste Prozess gegen Sabich und dessen klägliches Nachspiel Tommys Existenz verdunkelt. Nun jedoch erwies sich der zweite Prozess als sein Sprungbrett in ein Leben als eine allseits geschätzte Person. Die öffentliche Wahrnehmung hatte sich im Großen und Ganzen genau so gestaltet, wie Brand an dem Abend prophezeit hatte, als sie beschlossen, Rustys Angebot zu akzeptieren. Sabichs Verurteilung bestätigte Tommy in jeder Hinsicht. Die DNS aus dem ersten Prozess wurde nach wie vor als strittig betrachtet, weil es Zweifel bezüglich der Probe gab, aber im Allgemeinen verglich man ihn mit O. J. Simpson, der ebenfalls ungestraft mit Mord davongekommen war, weil das Labor schlampig gearbeitet hatte. Nach einhelliger Auffassung der Zeitungskommentatoren hatte Ankläger Molto das Bestmögliche erreicht, indem er dafür sorgte, dass ein Mann verurteilt wurde, dessen Verurteilung längst überfällig gewesen war. In den letzten sechs Wochen hatte die Presse sogar das Wörtchen »kommissarischer« weggelassen, wenn sie ihn als Oberstaatsanwalt bezeichnete, und die Bezirksspitze hatte verlauten lassen, dass man Tommys Kandidatur begrüßen würde, falls er sich um das Amt bewerben wolle.
Er hatte diese Option tatsächlich ein paar Tage lang erwogen. Aber es war Zeit, seine Segnungen zu genießen. Er war zehnmal besser dran als all seine gleichaltrigen Kollegen in der Staatsanwaltschaft, die sich für den beruflichen Erfolg hatten aufreiben müssen, als ihre Kinder noch klein waren. Tommy konnte jetzt den Sprung auf die Richterbank machen, ein respektabler Posten, der ihm ausreichend Zeit lassen würde, sich an seinen Kindern zu erfreuen und mehr zu sein als nur ein Gerücht in ihrem Leben. Vor zwei Wochen hatte er bekannt gegeben, dass er sich um einen Sitz im Kammergericht bewerben würde, und Jim Brand als seinen Nachfolger im Sessel des Oberstaatsanwalts empfohlen. Ramon Berrojas, ein ehemaliger Staatsanwalt, der jetzt in der Bezirksregierung saß, würde bei den Vorwahlen gegen Jim antreten, aber die Partei favorisierte Brand, hauptsächlich weil allgemein
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