Der letzte Beweis
stehen, weil mir die Sicherheitsleute erlaubt haben, die Verhandlung durch das kleine Fenster in der Tür zu beobachten. Es gibt so viel Kummer in diesem Gebäude, das durchdrungen ist von der Angst der Opfer und der Angeklagten und ihrer Angehörigen, und ich glaube ernsthaft, dass die Menschen, die hier tagtäglich arbeiten, wild entschlossen sind, besonders nett zu Leuten wie mir zu sein, die ohne eigenes Zutun in den Mähdrescher der Justiz geraten sind. Einer von ihnen, ein älterer Latino, legt mir sogar kurz eine Hand auf den Rücken, als die Sitzung beginnt und mein Vater sich erhebt, um zwischen Marta und Sandy vor Richter Yee zu stehen. Brand und Molto stellen sich auf der anderen Seite neben Stern. Mein Dad nickt und sagt etwas. Die Ankläger reichen Papiere hoch, wahrscheinlich die ausformulierte Vereinbarung und die neue Anklage, und der Richter beginnt, meinem Dad Fragen zu stellen, ein komplizierter Vorgang, der schon einige Minuten währt, als ich Anna sehe. Ich habe ihr nur wenige Minuten zuvor eine SMS geschickt: »Mein Dad bekennt sich schuldig wegen Justizbehinderung, um den Fall zu beenden.« Jetzt kommt sie rasant auf ihren hohen Absätzen den Flur heruntergefegt, eine Hand am Ausschnitt ihrer Bluse, weil ihr Büro-Outfit nicht für solche Sprints geeignet ist. »Das darf nicht wahr sein«, sagt sie.
Ich erkläre, was ich kann, dann betreten wir Hand in Hand den Gerichtssaal und gehen zu den Plätzen in der vordersten Reihe, die immer noch für die schrumpfende Familie meines Vaters reserviert sind. Richter Yee blickt kurz zu mir hoch und schickt ein kaum merkliches Lächeln der Beruhigung in meine Richtung. Dann schaut er wieder nach unten in das Verfahrensbuch vor ihm, das die vorgeschriebenen Fragen enthält, die ein Richter stellen muss, ehe er ein Schuldeingeständnis akzeptiert. Mir fällt auf, dass Richter Yee den vorgegebenen Text ohne die üblichen grammatischen Fehler verliest, die ihm unterlaufen, wenn er frei spricht, wenngleich sein Akzent nach wie vor stark ist.
»Richter Sabich, bekennen Sie sich in diesem einen Anklagepunkt schuldig, weil Sie die darin beschriebene Straftat tatsächlich begangen haben?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Also gut. Ich bitte die Anklagevertreter, die faktischen Grundlagen für die Anklage darzulegen.«
Jim Brand ergreift das Wort. Er erläutert die technischen Details im Zusammenhang mit dem Computer, das »Objekt«, das sich jetzt auf der Festplatte meines Vater befindet, aber Anfang November, als ein Image der Festplatte erstellt wurde, noch nicht darauf war. Dann fügt er hinzu, dass ein Nachtwächter im Gerichtsgebäude, Anthony Potts, bereit ist, vor Gericht auszusagen, dass er meinen Vater im letzten Herbst nachts dort in den Gängen gesehen hat und dass mein Vater allem Anschein nach eilig die Flucht ergriff, als er Potts bemerkte.
»Also gut«, sagt Richter Yee und blickt wieder in sein Buch. »Mr Stern, beweisen die dargelegten faktischen Grundlagen nach Auffassung der Verteidigung hinreichend, dass Richter Sabich die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat?«
»Das tun sie, Euer Ehren.«
»Richter Sabich, stimmen Sie Mr Stern in dieser Frage zu?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Also gut«, sagt Yee und klappt das Buch zu. Jetzt redet er wieder frei.
»Das Gericht spricht beiden Parteien Anerkennung aus, weil sie diesen Fall zu sehr gutem Abschluss gebracht. Dieser Fall sehr sehr kompliziert. Das Ergebnis, auf das Verteidigung und Anklage sich verständigt, ist nach Auffassung von Gericht für Staat und Angeklagten gerecht.« Er nickte mehrere Male, als wollte er diese Meinung auch den Journalisten aufzwingen, die jenseits des Mittelgangs in der ersten Reihe sitzen.
»Okay«, sagt er. »Gericht befindet, Schuldbekenntnis hinreichend belegt, und akzeptiert das Schuldbekenntnis des Angeklagten Roz« - er verhaspelt sich mit dem Namen, sodass er ein bisschen wie »Rosy« klingt - »Sabich gemäß Anklagepunkt 09-0872. Die Klage 08-2456 wird in allen Punkten vorbehaltlos abgewiesen. Richter Sabich, der Sheriff von Kindle County wird Sie für die Dauer von zwei Jahren in Haft nehmen. Die Verhandlung ist geschlossen.« Er knallt seinen Hammer auf den Tisch.
Mein Vater schüttelt Sandy die Hand und küsst Marta auf die Wange, dann wendet er sich zu mir um und erstarrt. Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass er auf Anna reagiert. Sie ist das erste Mal im Gericht, und er hat sie offensichtlich nicht erwartet. Wie ich hat auch sie die letzten
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