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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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Datum und Uhrzeit des aktuellen Tages anzeigen.« Er hatte jetzt Brands volle Aufmerksamkeit. Jim beobachtete Tommy vorsichtig.
    »Das ist genial«, fuhr Tommy fort. »Biete der Verteidigung eine Strategie an, die wunderbar in die Beweislage passt, sodass Stern gar nicht anders kann, als darauf einzugehen. Und dann, nachdem er das getan hat, widerlegst du sie völlig überraschend. Und gibst dem Angeklagten die Schuld an dem Betrug. Das ist einfach genial.«
    Brand sah ihn eine ganze Weile völlig ausdruckslos über den Schreibtisch hinweg an. Und dann verzog sein Mund sich langsam zu einem Lächeln, bis er Molto schließlich so angrinste, wie er das oft tat, wenn sie beide das Spaßige, das Absurde, die derbe Komik menschlichen Fehlverhaltens ebenso anerkannten wie die vergeblichen Anstrengungen der Rechtsprechung, es im Zaum zu halten.
    »Ja, das wäre verflucht genial«, sagte er.
    Irgendetwas in Tommy zerbrach, wahrscheinlich sein Herz. Er setzte sich auf einen Holzstuhl auf der anderen Seite des Raumes. Brand hätte bloß Nein zu sagen brauchen. Inzwischen hatte Jim Tommys Stimmung erfasst, und sein Lächeln war schwächer geworden.
    »Der Mann hat einen Menschen umgebracht, Boss. Zwei Menschen. Er ist schuldig.«
    »Nur nicht dessen, wofür wir ihn ins Gefängnis gebracht haben.«
    »Wen kümmert das?«
    »Mich«, sagte Tommy. In all den Jahren, die er nun schon in dieser Behörde arbeitete, hatte er erlebt, wie ein Oberstaatsanwalt nach dem anderen seinen Mitarbeitern Predigten darüber hielt, dass es die Pflicht eines Anklägers war, hart, aber fair vorzugehen. Manche von ihnen meinten es ernst; manche sagten es mit einem Augenzwinkern und einem Nicken, weil sie wussten, wie schwer es war, Räuber und Gendarm zu spielen, in gerader Linie mitten auf der Straße zu bleiben, wenn die bösen Buben sich in den Büschen versteckten und von dort angriffen. Wahrscheinlich hatte Tommy bis zu Tomasos Geburt in dieser Hinsicht so manches Mal geschwankt. Aber die Zukunft gewann eine neue Bedeutung, wenn man ein Kind hatte. Man musste ihm beibringen, was richtig und was falsch war. Ohne Ausflüchte und Einschränkungen. Auf der Straße würde die Wahrheit immer unergründlich sein. Aber alle Hoffnung war verloren, wenn der Staat keine klaren Grenzen zog und sie auch achtete.
    »Der Mann hat vor Gericht gestanden, dass er schuldig ist«, sagte Brand.
    »Würdest du das tun, um deinen Sohn zu schützen? Er wusste, dass er es nicht getan hat, Jim, und sein Sohn war der Einzige, der ein Motiv hatte, ihm auf diese Weise helfen zu wollen. Also hat er sich schuldig bekannt, um die Sache zu Ende zu bringen.«
    »Er ist ein Mörder.«
    »Weißt du was?«, sagte Tommy. »Selbst da bin ich mir nicht mehr so sicher. Nenn mir einen Grund, warum die Frau, die ohnehin schon am Leben litt, nicht einfach den Geist aufgegeben und sich umgebracht haben soll, als sie herausfand, dass ihr Mann eine Affäre hatte?«
    »Seine Fingerabdrücke sind auf dem Tablettenfläschchen. Er hat sich im Internet über Phenelzin informiert.«
    »Das ist alles, was wir haben? Willst du ernsthaft behaupten, dass wir es uns nicht zweimal überlegt hätten, ob wir Anklage erheben, wenn wir gewusst hätten, dass Barbara Sabich in der Bank war?«
    »Er hatte es nicht verdient, noch mal davonzukommen. Von dir mal ganz zu schweigen. Du hast Rusty zwanzig Jahre lang wie eine Bleikugel am Bein mit dir rumgeschleppt.«
    Was Brand getan hatte, wollte er nicht, es war kein Geschenk für ihn. Doch noch während er mitten in der Nacht in der Dunkelheit gesessen hatte, dann und wann die schluchzenden, schlafenden Atemzüge seines Sohnes hörte und gelegentlich seine Frau, häufig in einem unerklärlich engen Rhythmus, da war ihm eines klar geworden: Falls Brand es getan hatte, dann hatte er es für ihn getan.
    »Für dich hat es auch was gebracht, Jim. Immerhin kandidierst du, um der nächste Oberstaatsanwalt zu werden.«
    Bis zu diesem Moment war Brand zwar gutmütig gewesen, aber mit unstetem Blick und in Abwehrhaltung, jetzt jedoch beugte er sich in ehrlichem Zorn vor. Seine großen Hände ballten sich fest.
    »Tommy, ich hab mich jahrelang für dich krummgelegt, weil ich dir das schuldig bin. Weil du ein Anrecht darauf hast. Du warst besser zu mir, als meine eigenen Brüder das waren. Ich habe nie meine eigenen Interessen vor deine gestellt. Ich häng an dir, und das weißt du auch.«
    Ja, das wusste er. Brand liebte ihn. Und er liebte Brand. Er liebte Brand so, wie

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