Der letzte Beweis
Soldaten die Männer und Frauen lieben lernten, die mit ihnen in den Kampf zogen, die ihnen Rückendeckung gaben und zu den wenigen Menschen zählten, die wirklich um die Angst und das Blutvergießen und das Chaos des Krieges wussten. Dadurch wurde man zu siamesischen Zwillingen, am Herzen oder an irgendeinem anderen lebenswichtigen Organ zusammengewachsen. Brand war loyal. Und Brand war intelligent. Aber er hatte seine eigenen Gründe, warum er sich zu fest an Tommy klammerte. Weil er ein Gewissen brauchte.
»Hör mal«, sagte Brand. »Dumm gelaufen. Es ist mitten in der Nacht, du bist im Eimer und wütend, und auf einmal kommt dir diese unausgegorene Idee, eigentlich nur, weil du weißt, dass es klappen könnte, und du denkst weiter drüber nach, und sie wird immer konkreter. Ehrlich gesagt, ich hab die vollen drei Stunden, die ich dafür gebraucht hab, laut vor mich hin gelacht. Kam mir damals total lustig vor.«
Tommy dachte darüber nach. Wahrscheinlich war es wirklich so gewesen. Aber das änderte nichts.
»Ich werde den Mann nicht für etwas im Knast schmoren lassen, das er nicht getan hat, Jim.«
»Du bist verrückt.«
»Nein, bin ich nicht. Ich werde Richter Yee anrufen. Wir werden heute Nachmittag einen Antrag auf Aufhebung des Urteils stellen. Spätestens morgen Vormittag ist Sabich draußen. Ich muss mir bloß überlegen, was ich sagen werde. Und was ich mit dir mache.«
»Mit mir?« Brand erstarrte. »Mir? Ich hab nichts gemacht. Ich habe nicht falsch ausgesagt. Ich habe keine falschen Beweise vorgelegt. Ich habe den Computer vor Gericht nicht eingeschaltet. Lies dir das Protokoll durch, Tom. Du wirst sehen, dass ich dem Gericht nie etwas anderes gesagt habe, als dass diese Karte eine Fälschung war. Und ich habe Beweise dafür vorgelegt, um eine Irreführung des Gerichts zu verhindern. Also wo bitte siehst du da ein Verbrechen?«
Tommy betrachtete Brand traurig. Seit einigen Jahren machten Verbrechen ihn traurig. Als er noch jünger war, hatten Verbrechen ihn wütend gemacht. Heute wusste er, dass sie ein untilgbarer Teil des Lebens waren. Das Rad drehte sich, in Menschen brodelten Impulse und Triebe, und die meiste Zeit hielten sie sich zurück. Aber wenn sie es nicht taten, war es Tommys Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie bestraft wurden, weniger weil das, was sie getan hatten, unbegreiflich war - jedenfalls nicht, wenn man ehrlich einschätzte, wie Menschen sein konnten -, sondern weil die anderen, diejenigen, die jeden Tag versuchten, sich zu beherrschen, die Warnung brauchten und, was noch wichtiger war, die Genugtuung, dass böse Menschen bekamen, was sie verdienten. Die ganz normalen Leute mussten einen Sinn darin sehen, sich selbst im Zaum zu halten.
»Du kannst mich nicht anklagen, Tom«, sagte Brand. »Du weißt genau, wie das ausgehen würde. Die Leute würden einfach dir die Schuld geben.«
Bei Brands letzten Worten spürte Tom, wie sich sein Herz verkrampfte, und er stieß einen gequälten Laut aus. Doch ehe er antwortete, nahm er sich die Zeit, das Ganze noch einmal zu durchdenken. Brand war schneller als er und hatte die Situation viele Wochen lang von allen Seiten beleuchten können. Also wie würde es nun weitergehen?, fragte Molto sich.
Ein Sonderstaatsanwalt würde ernannt werden. Und auf den würde Brands Argument von vorhin, er habe nichts getan, um das Gericht in die Irre zu führen, wenig Eindruck machen. Die Manipulation von Beweismitteln in einem laufenden Verfahren war eine Straftat, wie man es auch drehte und wendete.
Den Beweis dafür zu erbringen war jedoch etwas anderes. Sie beide waren allein im Zimmer. Und selbst wenn Tommys Darstellung des Gesprächs akzeptiert wurde, so hatte Brand bislang kein ausdrückliches Geständnis abgelegt.
Doch der wichtigste Punkt war das, was Brand zuletzt gesagt hatte, seine indirekte Drohung. Denn Brand hatte recht. Sobald Tommy die Kugel abgefeuert hatte, würde die mit Sicherheit abprallen und ihn selbst treffen. Falls ein Staatsanwalt tatsächlich bereit wäre, Anklage gegen Brand zu erheben, würde der einen Ausweg finden, indem er behauptete, alles nur auf Tommys Geheiß getan zu haben. Falls Molto sich gegen Jim wandte, und so würde Brand das sehen, würde der sich revanchieren, indem er sich gegen Tommy wandte. Falls Brand gut genug log, könnte Tommy am Ende selbst vor Gericht stehen. Und selbst wenn es nicht so weit kam, wäre er wieder in demselben Fegefeuer wie vor zwanzig Jahren. Die Leute würden die Geschichte
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