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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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erzählte er mir die lange Geschichte einer Affäre, die er im letzten Jahr auf
der Highschool mit der Mutter eines seiner besten Freunde gehabt hatte. Unter
den gegebenen Umständen war es nett von ihm, mir so etwas zu beichten.
    »Du bist
ein guter Kerl, Nat.«
    »Ich geb
mir Mühe«, antwortete er. Während er leise geschildert hatte, wie er im Bett
dieser Frau gelandet war, hatten wir beide den Kopf gegen die Wand gelehnt, und
jetzt waren unsere Gesichter nicht sehr weit voneinander entfernt. Er schaute
mir direkt in die Augen, und was dieser Blick bedeutete, war nicht zu
übersehen. Ich konnte alles spüren, meine Einsamkeit und Sehnsucht, und ich
hätte in diesem Moment etwas unglaublich und unfassbar Dummes tun können, so
wie ich das immer getan habe. Aber irgendwie muss man aus dem Leben lernen.
Also zerzauste ich ihm stattdessen die nassen Haare und stand auf.
    Er war
sichtlich mitgenommen und sagte kurz darauf, er müsse gleich los, obwohl er
noch halbherzig anbot, mich nach Hause zu fahren. Ich lehnte ab. Als ich später
wieder in meiner alten Wohnung war, schrieb ich ihm eine Mail, in der ich mich
noch mal überschwänglich bedankte und versprach, ihn zu meiner Einweihungsparty
einzuladen.
    Zwei Tage
lang antwortete er nicht, und daran, dass sich mir irgendetwas in der Brust
verkrampfte, als ich schließlich seinen Namen im Posteingang sah und den
Betreff las, merkte ich, dass ich in der Klemme steckte.
     
    Von:
    An: [email protected]
    Datum: Montag, 04.08.08 17:45
    Betreff: Mein Herz
     
    Anna,
    tut mir leid, dass ich mich jetzt erst
melde, aber ich habe viel nachgedacht. Sehr viel. So was ist immer gefährlich.
     
    Ich habe vollstes Verständnis für
Deine Situation. Aber ich fange an, Gefühle zu entwickeln, wie Du vermutlich
gemerkt hast. Und ich muss auf mich aufpassen. Es kann mir passieren, dass ich
eine Zeitlang richtig gut klarkomme, und dann wirft mich irgendwas so aus der
Bahn, dass ich den Boden unter den Füßen verliere. Und ich kann richtig tief
abstürzen. Aber ich finde, wir sind uns irgendwie sehr nahegekommen. Richtig
nahe, und ich frage mich einfach, ob ich Dich nicht davon überzeugen könnte,
Dir das Ganze noch mal zu überlegen. Ich meine, das mit den älteren Männern hat
nicht so gut geklappt, und vielleicht hast Du die ganze Zeit einfach nur einen
jüngeren Typen gebraucht. Ich meine, wo ist schon der Unterschied, wo wir doch
beide so ziemlich am selben Punkt auf dem Mandala sind? Jedenfalls, ich denke,
Du verstehst, was ich sagen will, weil ich das Gefühl habe, dass Du mich
verstehst.
    Es war so rührend, dass mir beim Lesen fast die Tränen kamen, aber es
hatte keinen Sinn. Und trotzdem zögerte ich mit der Antwort bis spät am
folgenden Abend.
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Datum: Dienstag, 05.08 22:38
    Betreff: AW: Mein Herz
     
    Ja, Nat, ich glaube auch, dass ich
Dich verstehe. Und ich glaube, Du verstehst mich. Und wahrscheinlich wäre es
schön, mehr Zeit zusammen zu verbringen und zu schauen, was passiert, wenn
das, was in meinem Leben passiert ist, nicht passiert wäre, aber es ist
passiert. Das mit uns wäre eine sehr schlechte Idee, und zwar aus den Gründen,
die ich Dir bereits erklärt habe, und aus ein paar anderen, auf die ich nicht
näher eingehen möchte, nicht mal bei Dir. Nach Deiner letzten Mail habe ich
sogar heute Nachmittag mit Dennis darüber gesprochen. Ich bin kein Mensch, der
seinem Therapeuten ein Vetorecht über sein Leben einräumt. Und ehrlich, so ein
Therapeut ist er auch nicht. Aber uns ist beiden klar, dass das mit Dir und
mir wirklich keine gute Idee wäre. Und ich kann mich einfach nicht weiter auf
Beziehungen einlassen, die doch nur Liegestühle auf der Titanic sind. Ich weiß
nicht, was ich Dir sonst noch sagen soll, außer dass es mir ganz furchtbar
leidtut.
     
    Ich war nicht sicher, ob er darauf
überhaupt noch antworten würde, aber er tat es spät am nächsten Tag, allerdings
nur, um Lebewohl zu sagen.
     
    Anna,
    ich fürchte, ich muss einen radikalen
Schlussstrich ziehen. Soll heißen, keine Treffen und auch keine Mails mehr und
so. Irgendwie hat es zwischen uns gefunkt, und es kam mir so vor, als könnte
das nur in eine Richtung führen. Aber jetzt lauf ich tatsächlich
niedergeschlagen und untröstlich durch die Gegend. Und dann geh ich nach Hause
und lese wieder Deine Mails. Was, gelinde gesagt, ein gefährlicher Kreislauf
ist.
     
    Bis jetzt hast

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