Der letzte Beweis
Mal den Begriff »Indizienprozess« bemühte. »Die Beweisführung der Anklage hat kein Geständnis vorzuweisen, keinen Augenzeugen. Die Beweisführung wird sich fast gänzlich auf Hypothesen stützen, die verschiedene Sachverständige über das Geschehen aufgestellt haben. Sie werden die Sachverständigen der Anklagevertreter hören und dann mindestens ebenso qualifizierte Sachverständige der Verteidigung, die Ihnen sagen werden, dass die Sachverständigen der Anklage sich mit hoher Wahrscheinlichkeit irren. Und, Ladys und Gentlemen, selbst die Sachverständigen der Anklagevertretung werden nicht mit Sicherheit sagen können, dass Mrs Sabich ermordet wurde, und schon gar nicht, von wem.« Stern war mit besorgtem Stirnrunzeln vor den Geschworenen stehen geblieben, als wäre ihm gerade erst klar geworden, wie abwegig es doch war, jemanden aufgrund einer derart dünnen Beweislage des Mordes überhaupt anzuklagen. Er war einige Schritte näher auf die Geschworenen zugegangen, als jeder Richter es normalerweise zulassen würde, und umklammerte das Geländer vor der Geschworenenbank, um sich abzustützen. Trotz der sommerlichen Hitze draußen trug Stern einen Dreiteiler, zweifellos aus seiner beleibtesten Lebensphase, der ihm jetzt so formlos um den Körper hing wie - kein Zufall - ein Krankenhaushemd. Es gab keinen Wechselfall des Lebens, den Sandy Stern nicht im Gerichtssaal zu seinen Gunsten ausschlachten würde. Sein ganzes Wesen war darauf ausgerichtet, er konnte nicht anders, so wie manche Männer nicht aufhören konnten, an Sex oder Geld zu denken. Er hatte sogar eine Möglichkeit gefunden, die Tatsache, dass er so abstoßend aussah wie eine Horrorgestalt, zum Wohle seines Mandanten zu nutzen. Seine reine Anwesenheit schien zu vermitteln, dass er vom Totenbett auferstanden war, um eine himmelschreiende Ungerechtigkeit zu verhindern. Lasst Rusty frei, so schien er zu sagen, und ich kann in Frieden sterben.
Schwer zu sagen, ob die Geschworenen darauf reinfallen würden, aber falls sie die Beweisführung der Staatsanwaltschaft aufmerksam verfolgt hatten, mussten sie eigentlich einsehen, dass die Ankläger nicht unrecht hatten. Nach einigem Hin und Her hatten sie als ersten Zeugen Rustys Sohn Nat aufgerufen. Das war riskant, vor allem, da Yee bereits entschieden hatte, dass Nat nach seiner Aussage im Gerichtssaal bleiben durfte, um seinem Vater beizustehen, und zwar ungeachtet dessen, dass er auch noch als Zeuge der Verteidigung aussagen würde. Trotzdem, es machte sich immer gut, wenn man die Gegenseite für sich aussagen lassen konnte, und Nat war ein ehrlicher Bursche, der Tag für Tag hier saß und mitunter aussah, als hätte er selbst so seine Zweifel. Im Zeugenstand räumte der jüngere Sabich ein, was er einräumen musste - dass sein Vater nach Barbaras Tod nicht die Polizei verständigen wollte oder dass Rusty an dem Abend, bevor sie starb, die Steaks gegrillt und den Wein eingeschenkt hatte, wodurch er reichlich Gelegenheit gehabt hätte, seiner Frau unbemerkt eine tödliche Dosis Phenelzin zu verabreichen.
Als Nächste wurde Nenny Strack aufgerufen. Sie trat besser auf als damals in Tommys Büro, nahm jedoch im Kreuzverhör fast alles zurück. Aber sie hatten sie nun mal am Hals. Wenn sie einen anderen Toxikologen aufgerufen hätten, dann würde Strack für die Verteidigung aussagen, den anderen Experten anfechten und beteuern, dass sie alle diese Bedenken auch der Staatsanwaltschaft gegenüber geäußert hatte. Stattdessen brachte Brand die Sache wieder in Ordnung, indem er den Rechtsmediziner aufrief, der aussagte, dass Barbara seiner sachverständigen Meinung nach an einer Überdosis Phenelzin gestorben war. Im Kreuzverhör nahm sich Marta Stern Dr. Russell zur Brust, und er geriet schwer unter Beschuss. Marta machte deutlich, dass Russell anfänglich von einer natürlichen Todesursache ausgegangen war und diese Möglichkeit aufgrund von postmortaler Redistribution auch jetzt noch nicht definitiv ausschließen konnte.
Aus diesem tiefen Tal war die Anklagevertretung stetig wieder nach oben ins Sonnenlicht geklettert. Barbaras eigener Pharmakologe trat kurz in den Zeugenstand und sagte aus, dass er sie wiederholt vor den Gefahren von Phenelzin gewarnt und die Nahrungsmittel genannt hatte, die sie meiden musste, wenn sie das Medikament einnahm. Harnason war Harnason, wirkte verschlagen und eigenartig, aber er hielt sich ans Drehbuch. Im Gegenzug für seine Aussage würde seine Haftstrafe von hundert auf
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