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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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Sie, die haben hier und da ein Hühnchen zu rupfen. Aber so ist das nun mal, nicht? Richter, Staatsanwälte, Cops, die streuen sich ständig gegenseitig Sand ins Getriebe. Aber Ihr Dad kandidiert fürs Oberste Gericht. Das ist das Entscheidende. Irgendwer hat sich die Akte angesehen und gesagt: Das müssen wir abklären, ehe er vereidigt wird, sämtliche offenen Fragen beantworten.«
    Sie bat mich, ihr zu schildern, was an dem Tag passiert war, als meine Mom starb. Oder, genauer gesagt, am Tag danach.
    »Ist das der Grund?«, fragte ich. »Hat das eigenartig gewirkt - dass er einen Tag lang neben der Leiche gesessen hat?«
    Sie hob eine Hand - die gleiche Geste, sie machte nur ihre Arbeit. »Ich weiß nicht. Die Familie von meiner Mom kam aus Irland, die haben die Leiche ins Wohnzimmer gelegt, Kerzen angemacht und die ganze Nacht dabeigesessen. Also, nein, denke ich. Wenn Leute jemanden verlieren, gibt's kein Handbuch, wie man sich zu verhalten hat. Da reagiert jeder anders. Aber wenn jemand auf Ärger aus ist, würde er vielleicht sagen: >Nanu, das ist aber seltsam. Wieso hat er alles weggeräumt?< Sie wissen ja, wie die Leute manchmal sind: Was hat er da beseitigt? Was will er verdecken?«
    Ich nickte. Das klang einleuchtend, obwohl mir selbst diese Fragen nie in den Sinn gekommen waren.
    »Einer von den Kollegen hat sich notiert, dass Sie gesagt haben, Ihr Dad wollte nicht die Polizei verständigen?«
    »Er war verwirrt. Ganz einfach. Ich meine, er müsste doch nun wirklich wissen, dass man die Cops benachrichtigen muss, oder?«
    »Scheint mir auch so«, sagte Detective Diaz.
    »Ja, aber das lag an der Situation«, sagte ich. »Ich meine, das schwache Herz lag bei ihr in der Familie, aber meine Mom war in bester Verfassung, trieb Sport, hielt sich fit. Haben Sie schon mal so plötzlich und unerwartet einen geliebten Menschen verloren? Das ist, als gäb's plötzlich keine Schwerkraft mehr, als würde alles anfangen zu schweben. Sie wissen nicht, ob Sie stehen oder sitzen sollen. Sie können gar nicht mehr richtig denken. Sie müssen das erst mal in den Griff bekommen.«
    »Kam Ihnen irgendwas ungewöhnlich vor, als Sie dort eintrafen?«
    Und ob mir was ungewöhnlich vorkam: Meine Mutter lag tot im Bett meiner Eltern. Wie kam diese Frau bloß darauf, dass ich mich noch an irgendwas anderes erinnern könnte? Mein Vater hatte ihre Hände oben auf die Decke gelegt, und sie hatte eine Färbung angenommen, blass wie Wasser, die allein schon keinen Zweifel daran ließ, dass sie tot war. Ich weiß nicht, wann ein Kind zum ersten Mal begreift, dass seine Eltern vor ihm den Abgang machen werden. Aber meine Mutter schien vom Alter immer unberührt zu bleiben. Wenn einer der beiden irgendwann einfach umkippen würde, dann hätte ich das eher von meinem Vater erwartet, der in den letzten Jahren ein wenig aufgedunsen ist und oft über seinen Rücken und hohes Cholesterin klagt.
    »Und wann haben Sie Ihre Mom das letzte Mal lebend gesehen?«
    »Am Abend davor. Wir waren zum Abendessen dort. Meine Freundin und ich.«
    »Und wie war das?«
    »Es war das erste gemeinsame Essen für uns vier. Alle wirkten ein bisschen nervös, was eigentlich seltsam war, weil meine Freundin meine Eltern schon kannte, ehe wir ein Paar wurden. Aber wissen Sie, manchmal erschwert das die Dinge, weil sich der Kontext geändert hat. Und ich glaube, meine Eltern hatten insgeheim immer Sorge, ich würde nie eine Frau finden, weil ich zu launisch bin und so, deshalb war es schon irgendwie ein wichtiger Anlass. Haben Sie Kinder?«
    »Oh, ja. Alle schon richtig erwachsen, genau wie Sie.« Ich fand ihre Formulierung seltsam. Ich glaube nicht, dass mein Vater oder meine Mutter mich je als richtig erwachsen bezeichnet hätten. Zugegeben, vielleicht hätte nicht mal ich selbst diese Worte benutzt. »Mein Sohn arbeitet bei Ford, hat schon zwei eigene Kinder, aber meine Tochter ist nicht verheiratet, und ich weiß nicht, ob sie's je sein wird. Kommt auf ihre Mutter, denk ich, will lieber allein bleiben. Ihr Vater? Der Mann war eine miese Ratte, aber heute wünschte ich, ich hätte ihr das nicht so oft gesagt. Sie ist auch bei der Polizei. Hab versucht, ihr das auszureden, aber sie wollte unbedingt.« Sie schüttelte verwundert den Kopf, und wir mussten beide lachen, doch dann stellte sie gleich die nächste Frage zu dem Abend, bevor meine Mutter starb.
    »Wie wirkte Ihre Mom auf sie? Glücklich? Unglücklich? Ist Ihnen irgendwas in Erinnerung geblieben?«
    »Meine

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