Der letzte Beweis
von seinem Gehaltsscheck Bargeld abzuzweigen, um die Affäre zu finanzieren. Ohne hinreichende Belege dafür, dass Sabich mit dieser Frau auch noch zusammen war, als Mrs Sabich angeblich ermordet wurde, war der Sachverhalt irrelevant.
»Euer Ehren, es wäre ein mögliches Motiv«, hatte Tommy protestiert.«
»Inwiefern?«, fragte Yee.
»Weil er vielleicht mit dieser Frau zusammen sein wollte, Euer Ehren.«
»Vielleicht?« Richter Yee hatte den Kopf geschüttelt. »Beweisen, dass Richter Sabich irgendwann eine Affäre hatte - das kein Beweis dafür, dass er Mörder, Mr Molto. Wenn das Beweis«, sagte der Richter, »viele Männer sind Mörder.« Die Presseleute, die während der Vorverhandlung in der ersten Reihe saßen, hatten losgebrüllt, als hätte sich der stille Richter aus der Provinz in einen Komiker verwandelt.
Marta, die einen Brokatblazer trug, kam jetzt mit ihren roten Shirley-Temple-Löckchen nach vorne, um Tommys Bitte zu widersprechen, die der Richter schon vor Prozessbeginn abgelehnt hatte.
»Euer Ehren, das ist ein offensichtlich inakzeptabler Nachteil für den Angeklagten. Damit werden Spekulationen geweckt, dass Richter Sabich eine Affäre hatte, was, wie das Gericht bereits erklärt hat, für dieses Verfahren irrelevant ist. Und es ist dem Angeklagten gegenüber unfair, dessen Entscheidung zur Aussage auf den früheren Beschlüssen des Gerichts beruht.«
»Euer Ehren«, sagte Tommy, »Ihre Entscheidung trug der Tatsache Rechnung, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Mordes mit dieser unbekannten Frau zusammen war. Aber jetzt, wo er im Zeugenstand ist, sollten wir ihn zumindest zu diesem Punkt befragen dürfen.«
Richter Yee blickte zur Decke und fasste sich ans Kinn.
»Jetzt«, sagte er.
»Wie bitte?«, fragte Tommy. Der Richter war mit seiner frugalen Wortwahl zuweilen rätselhaft.
»Fragen Sie jetzt. Nicht gleich mit Geschworenen.«
»Jetzt?«, echote Tommy. Irgendwie fing er Rustys Blick auf, der ebenso verblüfft wirkte wie Tommy.
»Sie wollen fragen«, sagte der Richter. »Fragen Sie.«
Tommy hatte damit gerechnet, abgelehnt zu werden, und einen Moment lang fehlten ihm die Worte.
»Richter Sabich«, sagte er schließlich, »hatten sie im Frühjahr 2007 eine Affäre?«
»Nein, nein, nein«, sagte Yee. Er schüttelte, wie er das mitunter tat, oberlehrerhaft den Kopf. Der Richter war ein paar Pfund zu schwer, hatte ein Mondgesicht und schütteres graues Haar, das ihm am Schädel klebte. Wie Rusty kannte auch Tommy Yee schon seit vielen Jahren. Obwohl man bei dem Mann eigentlich nicht behaupten konnte, ihn zu kennen, dafür war er viel zu eigenbrötlerisch. Er war in Ware als Einzelgänger aufgewachsen, nicht nur, weil er für die dortige Landbevölkerung zu exotisch aussah und sprach, sondern auch weil er schon in der Schule eine dieser Intelligenzbestien war, die keiner verstehen konnte, selbst wenn er richtiges Englisch gesprochen hätte. Warum Yee beschlossen hatte, ausgerechnet Prozessanwalt zu werden, was vielleicht der einzige Beruf der Welt war, wovon ihm jeder halbwegs vernünftige Mensch abgeraten hätte, war allen ein Rätsel. Er hatte Macken, jeder hatte welche. Aber die Staatsanwaltschaft von Morgan County konnte ihn unmöglich ablehnen, einen Einheimischen, dessen Leistungen im Studium - er war der Beste seines Jahrgangs gewesen - die jedes Bewerbers der letzten zwanzig Jahre in den Schatten stellten. Wider Erwarten hatte Yee sich als Staatsanwalt ganz gut geschlagen, obwohl er am ehesten bei Berufungsverhandlungen glänzte. Letzten Endes setzte der Oberstaatsanwalt Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn auf die Richterbank zu bekommen, wo Basil Yee regelrecht glänzte. Er war dafür bekannt, bei Juristentagungen auf den Putz zu hauen. Er trank etwas zu viel und verbrachte die Nächte am Pokertisch, einer von diesen Männern, die nicht oft von zu Hause wegkamen und die wenigen Gelegenheiten weidlich auskosteten.
Als Yee vom Obersten Gericht für den Vorsitz in diesem Prozess ernannt wurde, war Brand begeistert gewesen. Yee hatte in Prozessen, wo er allein über Schuld oder Unschuld befinden musste, erstaunlich einseitig zugunsten der Anklagevertretung entschieden, daher wussten sie, dass Stern sich keinesfalls gegen Geschworene aussprechen würde. Aber im Laufe der Jahre hatte Tommy gelernt, dass es bei jedem Prozess drei unterschiedliche Interessengruppen gab - die Anklage, die Verteidigung und das Gericht. Und das, was der Richter
Weitere Kostenlose Bücher