Der letzte Beweis
fünfzig Jahre verringert werden, aber Harnason schien der einzige Mensch im Saal zu sein, dem nicht bewusst war, dass er im Gefängnis sterben würde. Er war der erste Zeuge, der nicht von Marta, sondern von Stern selbst ins Kreuzverhör genommen wurde, aber es war ein seltsam zurückhaltender Auftritt. Sandy hielt sich kaum damit auf, Harnason mit den garstigen Tatsachen zu attackieren, die der schon bei Brands Befragung eingestanden hatte — dass Harnason ein notorischer Lügner und Betrüger war, ein Flüchtling, der einen vor Gericht geleisteten Eid gebrochen hatte, und ein Mörder, der Nacht für Nacht neben seinem Geliebten geschlafen hatte, während er ihn gleichzeitig langsam vergiftete. Stattdessen ritt Stern die meiste Zeit auf Harnasons erster Anklage vor dreißig Jahren herum und ermunterte den Mann, sich darüber auszulassen, wie ungerecht seine Gefängnisstrafe gewesen war und wie Rustys Entscheidung praktisch sein Leben zerstört hatte. Aber Stern ging mit keinem Wort auf Harnasons Aussage ein, dass Rusty ihm vorab die Entscheidung des Berufungsgerichts verraten und ihn gefragt hatte, was es für ein Gefühl sei, jemanden zu vergiften.
Anschließend hatte George Mason, kommissarischer Chefrichter des Berufungsgerichts, ausführlich richterliche Grundprinzipien erläutert und Sabich damit ziemlich geschadet, wenngleich er im Kreuzverhör betonte, dass er ein langjähriger Freund Rustys sei und nach wie vor eine hohe Meinung von dessen Integrität und Glaubwürdigkeit habe.
Prima Dana Mann, glattzüngig, aber als Zeuge sichtlich nervös, hatte ausgesagt, dass seine Kanzlei ausschließlich Scheidungsfälle betreute, und zugegeben, dass er Rusty zweimal beraten hatte, das zweite Mal nur drei Wochen vor Barbaras Tod.
Zum Schluss hatte die Anklagevertretung ihre schwersten Geschütze aufgefahren: dass Rusty das Phenelzin abgeholt hatte, den Bericht über die Fingerabdrücke auf den Medikamenten aus Barbaras Arzneischrank, Rustys Einkäufe an Barbaras Todestag und schließlich Milo Gorvetich, den Computerexperten, der all die belastenden Dinge darlegte, auf die sie gestoßen waren, nachdem sie Rustys Privatcomputer beschlagnahmt hatten.
Nachdem die Anklage ihre Beweisaufnahme abgeschlossen hatte, stellte Marta einen Antrag auf Klageabweisung und erklärte leidenschaftlich, die Anklagevertretung habe nicht nachweisen können, dass überhaupt ein Mord begangen worden war. Richter Yee behielt sich eine Entscheidung vor. Normalerweise war das ein Zeichen dafür, dass der Richter mit dem Gedanken spielte, dem Antrag stattzugeben, doch Tommy vermutete eher, dass das nur Basil Yees typische Art war, reserviert und vorsichtig wie manche Hauskatzen.
Während Tommy jetzt neben dem Tisch der Anklagevertretung stand und seine Notizen durchblätterte, rutschte Jim Brand, der noch nach seinem morgendlichen Aftershave roch, mit seinem Stuhl näher und beugte sich zu ihm.
»Fragst du ihn nach der Frau?«
Tommy hatte in diesem Punkt nicht viel Hoffnung, aber er spürte, dass Yee ungeduldig wurde. Er trat vor. Yee hatte irgendwelche Unterlagen durchgesehen und blickte nun von der Richterbank zu Molto herunter.
»Euer Ehren, würden Sie uns anhören, ehe ich beginne?«
Nach drei Prozesswochen wussten die Geschworenen, was das bedeutete, und wurden unruhig. Mit Rücksicht auf Stern, der bei den geflüsterten Konferenzen neben der Richterbank nicht lange stehen konnte, ließ der Richter die Geschworenenbank räumen. Die Geschworenen mochten dieses Rein-und-raus-Schlurfen nicht, weil es ihnen das Gefühl gab, wie Kinder behandelt zu werden, die nicht mitbekommen sollten, worüber sich die Erwachsenen unterhielten.
Sobald sie draußen waren, trat Molto noch einen Schritt näher.
»Euer Ehren, da der Angeklagte sich entschlossen hat, als Zeuge aufzutreten, möchte ich ihn zu der Affäre befragen, die er vorletztes Jahr hatte.«
Sofort schoss Marta hoch, um Einspruch einzulegen. Es war für Tommy ein unerwarteter Rückschlag gewesen, dass Richter Yee dem Antrag der Verteidigung stattgegeben hatte, der es den Anklägern untersagte, den Beweis dafür anzutreten, dass Rusty im Frühjahr 2007 eine Geliebte gehabt hatte. Marta Stern hatte argumentiert, selbst wenn man die dürftigen Beweise für Sabichs Untreue akzeptierte - die Zeugen, die ihn in Hotels gesehen hatten, der Test auf Geschlechtskrankheiten -, so endeten diese doch fünfzehn Monate vor Barbaras Tod, allen voran das angebliche Verhaltensmuster des Chefrichters,
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