Der letzte Bissen
zerkratzte den Lack. Erst vor wenigen Wochen hatte sie ein paar hundert Euro für die Beseitigung von Lackschäden ausgeben müssen.
Sarah strich eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht und pumpte Luft. »Können Sie bitte den Hund zurückpfeifen!«, sagte sie mit aller Strenge.
Der ältere der Uniformierten zog die Leine stramm.
Sie kannte die beiden Polizisten von früheren gemeinsamen Einsätzen. Sie waren von der >Fleifa<, dienstinterne Abkürzung für Fleischfahndung.
Der Jüngere hielt ihr seinen Dienstausweis hin. »Ist das Ihr Wagen?«
»Ja.«
»Würden Sie bitte den Kofferraum öffnen.«
»Ich denke gar nicht daran!«
Die beiden Polizisten tauschten einen Blick.
»Wir sind dazu befugt, ihn notfalls gewaltsam zu öffnen«, erklärte der Jüngere und starrte auf ihren Busen. Entweder war er manisch geil oder er traute sich nicht, ihr ins Gesicht zu sehen.
»Ich weiß, wozu Sie befugt sind. Ich habe an der Erstellung der Richtlinien für den Einsatz der Fleifa mitgearbeitet.« Sarah wurde laut. »Was glauben Sie, in meinem Kofferraum zu finden? Hähnchenschenkel?«
Der Ältere versuchte es auf die sanfte Tour. »Frau Kutah, machen Sie uns die Arbeit nicht schwerer, als sie ohnehin schon ist. Siegfried irrt sich manchmal.« Er strich dem hechelnden Schäferhund über den Rücken. » Ein Blick nur und Sie sind uns los. Bitte!«
Sarah seufzte und steckte den Schlüssel in das Schloss des Kofferraums.
Der Ältere warf seinem Kollegen einen Blick zu. So muss man es machen!
Sarah öffnete den Kofferraum und machte eine einladende Geste. Die beiden Beamten beugten sich über den Kofferraum. Sarah blickte zum Präsidium. An seinem offenen Fenster stand ihr Chef Hinrichs. Er paffte und winkte ihr zu.
»Können Sie uns das bitte mal erklären?« In der Stimme des jüngeren Polizisten schwang Schadenfreude mit.
Sarah schaute in den Kofferraum. Unter einer Decke lag eine Kiste. Und die war randvoll gefüllt mit Hähnchenschenkeln.
3.
Bastian sehnte das Ende der Schicht herbei. Back to the roots. Für ein paar Tage sollten er und sein Kollege Rippelmeyer, so wie auch alle anderen aus der Direktion >Verbrechen am Menschen< Außen- und Routinedienst machen. Eine Scheißidee ihres Chefs. »Damit Sie mal wieder den Blick für die Realität bekommen«, war die Begründung.
Nun lungerten sie beide in einem Dienstwagen an einer Autobahnraststätte herum. Bastian Bennecke, dreiundvierzig, Hauptkommissar, ledig, braunes Haar, braune Augen, Hobbykoch und Jogger. Neben ihm saß Stefan Rippelmeyer, zweiunddreißig, Oberkommissar in Lauerstellung, schwarzes Haar, graue Augen, Exmitglied einer veganischen Burschenschaft und Basketballer.
Bastian schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde, bis er wieder an seinen Computer konnte.
Wenn kein höheres Gebot kam, hatte er heute für die Hälfte seines monatlichen Nettogehalts Schlemmen hinter Klostermauern in der 1. Auflage von 1978 bei einem Internet-Versteigerer erstanden. Bennecke liebte Kochbücher. Nicht die neumodischen, vegetarischen, sondern die >verbotenen Bücher< aus der Zeit vor der Prohibition mit Rezepten für Rehrücken und Taubenbrüstchen. Bennecke hatte die Zeit sehr bewusst erlebt, als es noch Currywurstbuden, Dönerstände und den Wienerwald gab. Als er Beamter auf Lebenszeit wurde, hatte er selbstverständlich den Revers unterschrieben, der ihn zeitlebens zum Vegetarier machen sollte. Nicht aus Opportunismus, sondern aus Überzeugung. Damals. Nach den vielen Toten, die die Vogelgrippe und andere Epidemien gefordert hatten. Aber die Erinnerung an qualvolle Tode verblasste schnell und die an glückliche Stunden am Grill wurde immer stärker.
Vor zwei Jahren hatte er nicht widerstehen können, als bei einer Hausdurchsuchung ein Hirschrücken übersehen wurde. Seither war er wieder auf Fleisch. Hin und wieder deckte er sich auf dem Schwarzmarkt mit Wild und Rind ein, aber mehr als einmal im Monat konnte er sich die Schlemmerei nicht gönnen. Für die Zubereitung benötigte er stets den ganzen Samstagnachmittag, die schönsten Stunden in seiner ansonsten erlebnislosen Freizeit. Die Nahrungsaufnahme am Abend war ein einsamer, fast trauriger Akt. Bastian hatte niemanden in seinem Freundeskreis, mit dem er sein Laster teilen konnte.
Sein Partner Rippelmeyer war ein Gemüse-Fanatiker. Der angehende Oberkommissar würde nicht zögern, sich vor Bennecke als Kugelfang zu werfen, aber ebenso wenig, ihn zu verpfeifen, wenn er von seinem
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