Der Letzte Bus Nach Woodstock
jetzt ganz deutlich. Einen Moment schloß er hilflos die Augen. »Margaret!« In seiner Stimme war Panik. Stolpernd rannte er aus der Haustür und um das Haus herum zum hinteren Kücheneingang. Dort war ebenfalls abgeschlossen. Er wimmerte leise vor sich hin, lief um die Hausecke und blickte durch das Fenster über der Spüle. Sie hatte das Licht brennen lassen, und er konnte sie drinnen auf dem Fußboden sitzen sehen. Im ersten Augenblick spürte er eine ungeheure Erleichterung. Gott sei Dank, da war sie ja! Sie machte wohl den Backofen sauber. Dann erst bemerkte er, daß sie sich überhaupt nicht bewegte.
An der Außenwand lehnte ein Ziegelstein. Er nahm ihn auf und zertrümmerte damit die Scheibe. In blinder Hast griff er durch das Loch und entriegelte das Fenster. Die Gaswolke nahm ihm fast den Atem. Das Taschentuch vors Gesicht gepreßt, kletterte er ungeschickt über den Sims hinein. Margarets Kopf im Ofen ruhte auf einem weichen roten Kissen. Aber das Kissen gehörte doch ins Wohnzimmer, dachte er. Er sah auf einmal, daß seine rechte Hand blutete und betupfte sie mechanisch mit dem Taschentuch. Wie in Trance blickte er um sich. Sie hatte die Türen und das Fenster mit säuberlich zurechtgeschnittenen Streifen braunen Klebebands abgedichtet. Alles, was sie tat, machte sie ordentlich und war oft wütend über die Achtlosigkeit der Kinder. Die Kinder! Gut, daß sie verreist waren. Auf dem Tisch lag noch die Schere, und er legte sie, ohne nachzudenken, aus Gewohnheit zurück in die Schublade. Der süßliche Gasgeruch hing noch immer im Raum, und er fühlte Würgereiz. Für einen Augenblick verlor sich seine Betäubung, und er erfaßte auf einmal, was geschehen war. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb: Margaret war tot.
Er schloß die Küchentür auf. Das Telefon stand im Flur. Er wählte die Nummer der Polizei. Neben dem Apparat lag ein Brief für ihn. Er nahm ihn auf, steckte ihn in die Tasche und kehrte in die Küche zurück.
Als zehn Minuten später die Polizei eintraf, fanden sie ihn neben seiner Frau auf dem Boden sitzend, seine Hand auf ihrem Kopf, mit erstorbenen Augen ins Leere starrend. Er hatte das Klingeln nicht gehört.
Morse kam kurze Zeit später. An der Tür begrüßte ihn Inspector Bell von der Oxford City Police, der ihn auf Crowthers Wunsch hin benachrichtigt hatte. Die beiden Beamten hatten schon des öfteren miteinander zu tun gehabt und kannten sich recht gut. Sie blieben einige Minuten im Flur stehen und unterhielten sich in gedämpftem Ton miteinander. Bernard hatte sich ganz apathisch vom Polizeiarzt ins Wohnzimmer führen lassen und saß dort in sich zusammengesunken in einem Sessel, das Gesicht in den Händen vergraben. Er schien nicht wahrzunehmen, was um ihn vorging, doch als Morse ihn ansprach, reagierte er und sah mit einem kläglichen kleinen Lächeln zu ihm hoch. »Hallo, Inspector.« Morse legte ihm die Hand auf die Schulter. Er hätte ihm gern etwas Tröstendes gesagt, aber ihm fiel nichts ein. Konnte es hier überhaupt einen Trost geben?
»Sie hat mir eine Nachricht hinterlassen.« Bernard holte den noch verschlossenen Umschlag aus seiner Jackettasche und hielt ihn Morse hin.
»Der Brief ist nicht an mich gerichtet – er ist für Sie«, sagte Morse ruhig.
»Ich weiß. Aber ich möchte, daß Sie ihn lesen. Ich kann es nicht.« Er bedeckte wieder sein Gesicht mit den Händen und begann leise zu schluchzen.
Morse sah fragend zu Bell hinüber. Der nickte, und Morse öffnete Margarets Brief.
Lieber Bernard,
wenn Du dies liest, werde ich nicht mehr am Leben sein. Ich bin mir bewußt, daß mein Tod für Dich und die Kinder ein schrecklicher Schock sein wird, und der Gedanke an Euch, und daß ich Euch damit Schmerz zufüge, hat mich lange davon abgehalten, diesen Schritt zu tun. Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden – was ich Dir vor allem sagen möchte, ist, daß nicht Du die Schuld trägst. Ich habe versagt – als Deine Frau und auch als Mutter. Seit langem schon ist mir alles zuviel, und der Wunsch, der täglichen Mühsal zu entfliehen und für immer Ruhe zu haben, ist stärker als ich. Ich habe nicht mehr die Kraft zu leben. Ich weiß, daß ich egoistisch handele und daß ich Euch im Stich lasse. Aber es gibt für mich keinen anderen Ausweg mehr. Ich habe Angst, ich werde sonst verrückt. Die Dinge sind mir über den Kopf gewachsen – ich komme nicht mehr dagegen an.
Die Rechnungen sind – bis auf eine – alle bezahlt. Du findest die
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