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Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Titel: Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schneider
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Lakti deutete mit einer Kopfbewegung auf die Stricke und riss daran. Die Kinder flüchteten. Zwei Frauen erschienen, betrachteten ihn aufmerksam. Eine wagte sich näher heran. Sie betastete lange die Zeichnungen auf seiner Haut.
    „Lasst mich frei!“, rief Lakti ängstlich. „Ich habe euch nichts getan!“
    Sie flüsterten miteinander und lachten. Jäger einer fremden Sippe erschienen auf der Lichtung.
    „Was machen wir mit ihm?“, fragte einer. Sie sprachen in Laktis Sprache.
    „Freilassen. Er ist doch gar keine Frau!“
    „Frau? Habt ihr mich deswegen geraubt? Weil ihr mich für eine Frau gehalten habt!“, rief Lakti. Jetzt war er wütend und vergaß dabei seine missliche Lage und seine Angst. Er war kleiner und zierlicher als die anderen Männer seines Stammes und hatte deswegen schon so manchen Spott über sich ergehen lassen müssen. Die Jagd war eben nicht seine Sache. Beim Zerlegen des Wildes, beim Ausbau einer Wohnstätte, bei denen alle mit anpacken mussten, war er nicht der Schnellste.
    Ein grauhaariger Mann, den Lakti bisher nicht bemerkt hatte, rief einen Befehl. Laktis Fesseln wurden gelöst. Er rieb sich die schmerzenden Glieder.
    „Wir müssen uns bei dir entschuldigen“, sagte der Grauhaarige zu ihm. Er schien der Anführer dieser Sippe zu sein, alle behandelten ihn mit großem Respekt und taten, was er befahl. Er lud Lakti ein, am Feuer Platz zu nehmen, denn inzwischen war es Nacht geworden. Der Gast erhielt einen Trank aus vergorenen Früchten. Die Stimmung hatte sich verändert, die Menschen waren nun freundlich zu dem fremden jungen Mann.
    „Morgen bringen wir dich zurück zu deiner Sippe, wenn du es wünschst“, sagte der Grauhaarige.
    „Aber sicher will ich zurück“, rief Lakti aus. Er war leicht berauscht von dem für ihn ungewohnten Getränk.
    Eine Frau setzte eine Schale mit Wurzeln und Stücken einer Hirschkeule vor ihm ab. Diese Gruppe kann gut mit dem Feuer umgehen, dachte Lakti. An spitzen Stöcken aufgesteckt schmorten die Fleischstücke, säuberlich zurechtgeschnitten in handliche Portionen.
    „Ich habe gesehen, was du in deinem Beutel hast“, sagte der Alte.
    „Ach ja, ihr habt mich gefilzt? Feine Sitten sind das hier!“
    „Verzeih, aber wir kannten dich nicht, wir waren neugierig, was du mit dir führst. Nun weiß ich, dass du verstehst, Farben zu mischen, und möchte dich als Mitglied meines Standes willkommen heißen.“
    „Deines Standes?“
    „Ich bin Maler und daher auch Farbenmischer. Aus dem Inhalt deines Beutels sehe ich, dass du farbige Erden eingesammelt hast.“
    „Das mache ich schon lange.“
    „Warum tust du das?“
    „Warum, warum! Weil’s mir Spaß macht, darum!“
    „Sano hat die Gabe“, rief jemand in der Runde.
    „Welche Gabe?“ Lakti war schon zu müde für dieses Gespräch.
    „Er kann mit seiner Malerei die Götter beschwören.“
    „Nun aber genug!“ Der Grauhaarige, den sie Sano nannten, hob die Hand. „Unser Gast ist müde. Lasst ihn in Ruhe und wacht gut über seinen Schlaf!“
    Am nächsten Tag blieb Lakti bei dieser Sippe. Auch am übernächsten. Hier verspottete ihn niemand. Man verstand, warum er sich für bunte Erden, Steine von besonderer Form und die Gestaltung von Zeichen auf festem Untergrund interessierte. In diesem Volk galten die Farbhersteller und Maler als Schamanen. Sie standen auf derselben Stufe wie die Deuter der Himmelszeichen und Naturerscheinungen oder die Heiler, die mit Beschwörungen, Handauflegen und Kräuterpasten Kranke heilten.
    Morgen gehe ich zurück, sagte sich Lakti trotzdem jeden Abend, sie werden mich vermissen. Sicher haben sie mich gesucht und denken jetzt, ich hatte einen Unfall gehabt: in den Fluss gefallen, von Raubtieren gefressen, verlaufen und umgekommen. Alleine schaffte es niemand zu überleben – und ein junger unerfahrener Kerl wie ich schon gar nicht. Ja, sie denken an mich, sie trauern, weil ich fort bin.
    Lakti wurde ganz weh ums Herz und er nahm sich wieder vor: „Morgen gehe ich zurück, ich werde den Weg finden.“
    Doch kaum war ein neuer Tag da, hatte er den gefassten Vorsatz wieder vergessen. Sano zeigte ihm und zwei anderen Jungen, die als Lehrlinge bei ihm waren, die verschiedenen Fundplätze von Quarz und Kalk. Aus diesen Mineralien mischte er die gelbe Ockerfarbe. Rötliche Farbtöne gewann er aus dem Roteisenstein, den sie zusammen mit Ton und Kreide in den Tragefellen sammelten. Schwarze Farbe ließ sich aus Holzkohle gewinnen. Die Lehrlinge lernten, die Ockererde

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