Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation
vorbei. Manche wissen es bereits oder ahnen es, dass es die Erde ist, die sich bewegt, und nicht die Sonne.“
In diesem Augenblick trat ein schlanker großer Mann mit schmalem Gesicht in schwarzem Gewand aus der Rauchwolke und sprach:
„Mein Name ist Nikolaus Kopernikus*. Ich weiß es und werde es beweisen. Ich arbeite bereits in Ihrer Zeit daran, Herr Alchemist. Weit im Osten, im Domturm zu Frauenberg, wo ich Nacht für Nacht die Gestirne beobachte und ihre Stellung aufzeichne, nehme ich der Erde ihre beherrschende Stellung im Universum.
Was sage ich, die neue Zeit ist bereits angebrochen, die Wissenschaft kommt der Wahrheit auf die Spur. Ich hoffe, sie stößt bereits das Weltbild des Alexandriners Ptolemäus*, das bis heute gültig blieb, über den Haufen.
Die Sonne ist der Mittelpunkt. Die Erde wurde zum dritten Planeten im Karussell der anderen. Venus und Merkur laufen auf einer Bahn näher zur Sonne. Mars, Jupiter, Saturn und andere, die ich noch nicht entdecken konnte, auf den äußeren Kreisbahnen.“
„Sehr gut, Herr Kollege“, lobte Galilei. „Sie haben uns also demnach degradiert. Das wird dem Papst gar nicht schmecken, wenn das, was bisher den Glauben ausmachte, nun von den Zweifeln der Wissenschaft untergraben wird. Ich hoffe, man wird Euch nicht auf den Scheiterhaufen werfen, lieber Freund, wie es so manch anderen passierte, die abweichende Meinungen äußerten.“
„Ich werde meine Schrift ‚Über die Kreisbewegungen der Himmelskörper‘ gewiss nicht zu meinen Lebzeiten veröffentlichen“, vernahm man die Stimme des Herrn Kopernikus.
Aus dem Rauch des Alchemistenofens, vor dem die Gehilfen voller Verzweiflung umhersprangen, um das Feuer zu löschen, betrat eine weitere Gestalt das wissenschaftliche Welttheater. Die Zuschauer waren schon lange still geworden vor Verblüffung.
„Mein Name ist Johannes Kepler*, meine Herren und meine Dame. Eure Schrift, verehrter Herr Kopernikus, wurde von uns, die nach Euch kamen und ihr wissenschaftliches Leben den Positionen der Planeten widmen, ein unverzichtbares Handbuch, eine Bibel gar. Ich war von früher Jugend an überzeugt davon, dass im Himmel eine große Harmonie herrscht, die von mathematischen Gesetzen bestimmt wird.“
„Ja, sehr recht“, rief der Professor aus Padua voller Begeisterung aus. „Mathematik ist das Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum beschrieben hat!“
„Mein Leben lang versuchte ich, die Kräfte zu verstehen, welche die Planeten in ihren, wie ich nach jahrzehntelangen Berechnungen herausfand, nicht kreisförmigen, sondern elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen“, fuhr Kepler fort.
„Aber meine Herren“, rief van Scheltinga aus, „das ist Ketzerei und wird mit dem Feuer bestraft.“
„Ich befand mich mehrmals auf der Flucht, das ist wahr“, sagte Kepler. „Ich war doppelt bestraft durch die Wahrheit meiner wissenschaftlichen Erkenntnisse und durch meinen Glauben. Wie so viele Millionen anderer Menschen wurde ich nach der Reformation evangelisch-lutherisch.“
// ERNEUERUNG //
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Als der Mönch Martin Luther (1483–1546) am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen (das sind Streitsätze oder Behauptungen) in Wittenberg verkündete, begann die Reformation (vom lateinischen „reformatio“, das heißt Wiederherstellung, Erneuerung) der katholischen Kirche. Die Thesen machten auf Missstände in der Kirche aufmerksam. Luther wurde neben anderen Männern der Motor einer kirchlichen Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1648. Sie führte zur Spaltung des westlichen Christentums. Immer mehr Länder wandten sich dem neuen Glauben zu und wurden evangelisch. Auch andere Glaubensgruppen entstanden im Gefolge der Reformation. Das führte zu etlichen Glaubenskriegen. Die katholische Kirche, die bis zum Ende des Mittelalters die europäischen Länder fest im Griff hatte, war stark genug, um der Reformation immer wieder Rückschläge beizubringen. //
Dennoch, die neue Bewegung setzte sich mit ihrer Trennung von Geistlichem und Weltlichem in etlichen europäischen und außereuropäischen Ländern durch. Sie gehörte zum allgemeinen Kulturwandel, der im 15. und 16. Jahrhundert das Mittelalter beendete und neues politisches, wirtschaftliches und soziales Denken und Handeln mit sich brachte. Alle Bereiche des Lebens wie Ehe, Familie, Staat, Gesellschaft und die Kunst wurden beeinflusst. Das Bildungswesen wurde gefördert, denn die Menschen sollten die Bibel selbst lesen können. Aber
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