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Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Titel: Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schneider
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angenehmer.
    „Neumodisches Zeug“, meinte Bosch. „Holz nimmt die Farbe besser auf, ist haltbarer und gibt den Bildern mehr Tiefe und Geheimnis, wenn du weißt, was ich meine.“
    Tamas dachte, er lebt doch noch in der alten Zeit. Die Bilder von so vielen Malern in den folgenden Jahrhunderten hatten Tiefe, Geheimnis, ihr Zauber war nicht zu ergründen.
    Nannte er Cezanne? Dali? Turner und ein paar andere der wenigen, die er kannte? Sprach er von Dürer, dessen „Betende Hände“ das weltweit am meisten verbreitete Tattoo waren? Sprach er von Bacon, von dem er sogar selbst ein Poster im Keller hatte? Ein schreckliches Bild von zerschundenen gequälten Menschen, 500 Jahre nach Bosch gemalt? Nein, er nannte keine Namen. Es schien ihm unpassend und schlaubergerhaft.
    Meister Bosch war noch dem Mittelalter verhaftet. Für ihn waren die Strafen der Hölle allgegenwärtig, die meisten Menschen waren voller Sünde und Torheit. Als Atelierdiener wurde Tamas Tag für Tag Zeuge dieser Lebenseinstellung.
    In diesen Tagen arbeitete Bosch fieberhaft an einer Darstellung des Jüngsten Gerichts. Er schien selbst wie von den Teufeln getrieben, die er malte. Die Zahl der Verdammten überwog die der Erlösten, denen das Licht des Himmels winkte. Die Bestimmung des Menschen am Ende seines Lebens war das Höllenfeuer.
    „Glauben die Menschen in dieser Zeit wirklich, dass sie verloren sind? Und wenn ja, wie können sie so leben?“, fragte Tamas Susana, als sie sich abends in seiner Dachkammer trafen. „Sie müssen sich doch alle die Kugel geben bei so wenigen Chancen, der Hölle zu entkommen?“
    „Wir müssen lernen, es richtig zu verstehen. Wie du auf den Bildern des Meisters sehen kannst, leben diese Menschen intensiv. Sie trinken, sie feiern, sie tanzen, sie lieben sich. Sie geben sich allen möglichen Sünden hin, die Bosch darstellt: Gier nach Reichtum, Lüge und Betrug, Diebstahl, Streit, Gewalt, Mord. Ist das denn so viel anders als in anderen Zeiten?“
    „Aber wir heute, in unserer realen Welt, sind schon ein paar Hundert Jahre weiter als die Menschen des Mittelalters.“
    „Sind wir das wirklich?“
    „Das will ich doch hoffen!“
    „Ich wäre da nicht so sicher. Vielleicht haben sich die Menschen in ihrem Wesen gar nicht so sehr verändert. Ihre Wünsche, Hoffnungen, Träume und die üblen dunklen, schlechten Seiten oder wie ich das nennen soll, sind durch die Jahrtausende gleich geblieben. Und ich werde das bis ans Ende meiner Tage weiter erleben.“
    Sie fing plötzlich an zu weinen. Tamas nahm sie in die Arme, streichelte sie. Beide hatten so gut wie vergessen, dass ihre Irrfahrt nicht freiwillig war.
    „Ich dachte, du fühlst dich wohl in deinem Avatar Susana?“
    „Ja, jetzt hier, heute bei Ruben, bei Bosch, bei dir, so lange du hier bist. Aber irgendwann müssen wir uns trennen und ich irre weiter umher ...“
    „Nein Susana, wir verlassen die Simulation gemeinsam.“
    „Sag lieber Mondmädchen“, bat sie.
    „Bald, mein Mondmädchen, werden wir es schaffen, die Simulation zu verlassen!“
    „Ich hoffe, du hast recht.“
    Er drückte sie fest an sich.
    Über ihr Gesicht zog ein glückliches Lächeln, als er ihr wieder eine Probe seiner dilettierenden Dichtkunst gab:
    „Ich weiß es, liebste schöne Mondfrau,
    daher lächle und sei munter.
    Sieh die Sterne, träum und geh, nein,
    gleite mit mir sanft
    in die Nacht hinunter!“
    Hat Gott gewollt, dass der Mensch fliegen kann?
    Anderntags bedienten Susana und Tamas am Abend Gäste in Boschs Werkstatt. Der Maler zeigte seinen Gästen sein Bild „Der Landfahrer“. Es war Teil eines Triptychons* mit dem Titel „Der Heuwagen“.
    „Ihr seid Eurem zentralen Thema treu geblieben, Meister Bosch. Ihr zeigt die Menschheit in den Klauen ihrer Feinde, in der Welt der Lüste und des Teufels. So ist es recht!“, lobte Prior Sterner vom Dominikaner-Kloster. Das Bild wurde beherrscht von einem abgemagerten, ärmlich gekleideten Landfahrer, der einen Weidenkorb auf dem Rücken trug. Der Mann wanderte durch eine äußerst bedrohliche Landschaft mit Totenschädeln, verstreuten Knochen, einem schnappenden Hund, Räubern, Galgen mit Hingerichteten. „Beim Betrachten des Bildes ist man sicher, dass dieser Wanderer jeden Augenblick einer Gewalttat zum Opfer fallen wird“, sagte Sterner. „War dies Eure Absicht?“
    Bosch, der seine unvollendeten Werke eigentlich nur äußerst ungern Publikum zeigte oder über sie sprach, drängte die Gäste statt einer Antwort nun

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