Der letzte Coyote
Ich dachte, Ihre Termine seien montags, mittwochs, freitags. Das hatte ich abgezeichnet.«
»Ja, das sind die normalen Termine. Aber sie hatte heute eine freie Stunde und wollte, daß ich komme.«
»Freut mich zu hören, daß Sie so kooperativ sind. Was ist mit Ihrer Hand passiert?«
»Ach das?« Bosch hielt seine Hand hoch, als ob er sie erst jetzt bemerkt hätte und sie nicht zu ihm gehöre. »Ich habe ein paar Reparaturen am Haus gemacht und mich an einem Glassplitter geschnitten. Ist immer noch nicht alles aufgeräumt nach dem Erdbeben.«
»Ach so.«
Irving schien es nicht zu glauben, aber das war ihm egal.
»Ich will schnell was zu Mittag essen an der Federal Plaza«, sagte Irving. »Wollen Sie mitkommen?«
»Nein danke, Chief. Ich habe schon gegessen.«
»Okay, passen Sie gut auf sich auf. – Ich mein’ das ernst.«
»Mach’ ich. Danke.«
Irving machte ein paar Schritte und blieb dann noch mal stehen.
»Wir gehen in Ihrer Angelegenheit anders vor, weil ich hoffe, daß Sie ohne Versetzung oder Degradierung wieder nach Hollywood zurückkehren können. Ich warte auf die Empfehlung von Dr. Hinojos. Wie ich jedoch höre, dauert es mindestens noch ein paar Wochen.«
»Das hat sie mir auch gesagt.«
»Wissen Sie, es wäre hilfreich, falls Sie sich schriftlich bei Lieutenant Pounds entschuldigen würden. Wenn es hart auf hart kommt, muß ich es ihm irgendwie schmackhaft machen, Sie an Ihren Arbeitsplatz zurückzulassen. Das wird schwer sein. Meiner Ansicht nach werden Sie ohne Probleme ein Attest von der Therapeutin bekommen. Ich kann dann einfach einen Befehl geben, und Pounds müßte Sie akzeptieren. Das wird jedoch nicht die Atmosphäre entspannen. Ich würde es vorziehen, wenn er es von sich aus akzeptiert und jeder glücklich ist.«
»Ich habe gehört, er hat schon Ersatz für mich gefunden.«
»Pounds?«
»Er hat meinem Partner jemand von der Abteilung für Autodiebstähle zugeteilt. Sieht nicht so aus, als würde er mich zurückerwarten, Chief.«
»Nun, das ist mir neu. Ich werde mit ihm darüber sprechen. Was halten Sie von dem Entschuldigungsschreiben? Es würde Ihnen sehr helfen.«
Bosch zögerte, bevor er antwortete. Er wußte, daß Irving ihm helfen wollte. Ein unsichtbares Band verband sie. Vor Jahren waren sie verfeindet gewesen. Verachtung hatte sich dann in gegenseitiges Tolerieren verwandelt – inzwischen respektierten sie sich sogar mit Vorbehalt.
»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen, Chief«, sagte Bosch endlich. »Ich sage es Ihnen dann.«
»Nun gut. Wissen Sie, Harry, man kann manchmal aus Stolz die falsche Entscheidung treffen. Tun Sie’ s nicht.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
Bosch beobachtete Irving, wie er um den Gedenkbrunnen für gefallene Polizisten zur Temple Street hinunterging. Als er die Los Angeles Street zur Federal Plaza überquerte, wo es eine Reihe Imbißlokale gab, fühlte Bosch sich sicher und ging wieder hinein.
Er beschloß, nicht auf den Aufzug zu warten, und begab sich zu Fuß in das Untergeschoß.
Den größten Teil des Kellers nahm das Archiv für Beweismaterial ein. Es gab noch einige andere Büros, wie zum Beispiel die Abteilung für flüchtige Personen, aber im allgemeinen war es ruhig hier. Bosch sah niemanden auf dem langen Gang mit dem gelben Linoleumboden und erreichte die doppelten Stahltüren des Archivs, ohne weitere Bekannte zu treffen. Die Polizei bewahrte Beweisgegenstände auf, die nicht zur Eröffnung eines Verfahrens an die Anklagevertretung gegangen waren. Beweismaterial, das einmal bei der Staatsanwaltschaft war, blieb gewöhnlich dort.
Die Asservatenkammer war also das Endlager aller Mißerfolge. Hinter den Stahltüren befanden sich die Beweisstücke Tausender ungelöster Verbrechen. Fälle, die nie zur Anklage gekommen waren. Ein dumpfer Geruch von Feuchtigkeit verbreitete sich hier im Kellergeschoß. Bosch war der Ansicht, daß es der Verwesungsgeruch von Vernachlässigung und Verfall war – und von Hoffnungslosigkeit.
Er trat in einen kleinen Raum, der eigentlich eher ein Drahtkäfig war. Auf der anderen Seite gab es eine Tür, an der ein Schild hing: Zutritt nur für Archivmitarbeiter. Zwei Fenster waren in den Maschendraht geschnitten. Das eine war geschlossen, hinter dem anderen saß ein Polizist und löste ein Kreuzworträtsel. Hinter den Fenstern war ein weiteres Schild angebracht: Schußwaffen nicht geladen aufbewahren! Bosch trat an das geöffnete Fenster und lehnte sich auf den Schalter. Der Mann
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