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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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der Dienstmarke heraus. Er hatte gewußt, daß es dort sein würde. Pounds war ein Gewohnheitstier, und Bosch hatte das Etui schon oft in der Anzugsjacke gesehen. Er steckte es in seine Hosentasche und drehte sich zu Henry um, der immer noch sprach. Bosch hatte nur einen Augenblick vor diesem schwerwiegenden Schritt gezögert. Es war ein Verbrechen. Er sah es jedoch unter dem Aspekt, daß Pounds verantwortlich dafür war, daß er nicht seine eigene Marke hatte. Nach seinem moralischen Gefühl wog Pounds’ Vergehen ebensoschwer.
    »Der Lieutenant ist drüben bei einer Besprechung«, sagte Henry.
    »Ich will den Lieutenant nicht sehen, Henry. Am besten, du sagst ihm gar nicht, daß ich hier war. Sonst steigt sein Blutdruck wieder. Ich hole nur ein paar Sachen ab und verschwinde dann. Okay?«
    »Abgemacht. Ich will nicht, daß er schlechte Laune bekommt.«
    Bosch brauchte nicht zu befürchten, daß jemand anders im Büro es Pounds sagen würde. Er gab Henry im Vorbeigehen einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und besiegelte so den Pakt. Als er sich dem Mord-Tisch näherte, stand Burns von seinem alten Platz auf.
    »Mußt du an den Tisch, Harry?« fragte er.
    Bosch glaubte die Nervosität in seiner Stimme zu hören. Er verstand seine Lage und hatte nicht vor, eine Szene zu machen.
    »Ja, wenn du nichts dagegen hast«, sagte er. »Ich denke, ich nehme meine persönlichen Sachen mit, damit du richtig einziehen kannst.«
    Bosch ging um den Tisch herum und öffnete seine Schublade. Zwei Schachteln Pfefferminzbonbons lagen auf uraltem Papierkram.
    »Oh, das sind meine«, sagte Burns.
    Er nahm die beiden Schachteln heraus und stand dann mit seinen Süßigkeiten neben dem Tisch wie ein großes Kind im Anzug, während Bosch die Papiere durchsah.
    Es war alles nur Show. Er steckte ein paar Blätter in einen großen Umschlag und signalisierte Burns mit dem Finger, daß er seine Süßigkeiten wieder in die Schublade legen konnte.
    »Sei vorsichtig, Bob.«
    »Mein Vorname ist Bill. Vorsichtig weswegen?«
    »Ameisen.«
    Bosch ging zu den Karteischränken, die neben dem Tisch an der Wand standen, und öffnete die Schublade, auf der seine Geschäftskarte klebte. Sie befand sich in Hüfthöhe und war fast leer. Er zog das Etui mit dem Rücken zum Tisch aus der Tasche und legte es in die Schublade. Dortdrin öffnete er es und holte die goldene Dienstmarke heraus. Er steckte sie in die eine Tasche und das Etui in die andere. Zur Tarnung holte er eine Akte aus der Schublade und schloß sie wieder.
    Er drehte sich um und schaute Jerry Edgar an.
    »Okay, das ist alles. Nur persönlicher Kram, den ich vielleicht brauche. Irgendwas los?«
    »Nein, alles ruhig.«
    An der Garderobe griff Bosch mit einer Hand nach seinem Jackett und mit der anderen steckte er das Etui wieder in Pounds’ Jacke. Nachdem er das Jackett angezogen hatte, verabschiedete er sich von Henry und ging noch einmal zum Mord-Tisch hinüber.
    »Ich gehe«, sagte er zu Edgar und Burns, während er zwei Akten an sich nahm, die er herausgesucht hatte. »Ich will nicht, daß Achtundneunzig einen Anfall bekommt. Macht’s gut, Jungs.«
    Auf dem Weg nach draußen hielt Bosch an und gab dem Junkie noch eine Zigarette. Der andere Inhaftierte, der sich beschwert hatte, war nicht mehr da. Sonst hätte Bosch ihm auch eine geschenkt.
    Er warf die Akten auf den Rücksitz des Mustangs, holte sein Etui aus der Tasche und steckte Pounds’ Dienstmarke neben seinen Ausweis. Solange niemand näher hinsah, würde es gehen. Auf der Dienstmarke stand LIEUTENANT und auf seinem Ausweis DETECTIVE. Eine kleine Diskrepanz, aber nicht so tragisch. Es war gut möglich, daß Pounds den Verlust nicht so bald bemerken würde. Er verließ fast nie das Revier, um Tatorte zu aufzusuchen, und mußte daher selten seine Dienstmarke vorzeigen. Es war sogar möglich, daß das Verschwinden gänzlich unbemerkt blieb. Er mußte sie nur zurückbringen, wenn er sie nicht mehr brauchte.

21
    B osch kam diesmal zu früh zur Sitzung mit Carmen Hinojos. Er wartete, bis es genau halb vier war, und klopfte dann an ihre Tür. Als er eintrat, lächelte sie. Ihm fiel auf, daß die Spätnachmittagssonne durchs Fenster kam und den Schreibtisch mit Licht überflutete. Zuerst steuerte er auf seinen gewohnten Platz zu, dann stoppte er jedoch und setzte sich auf den linken Stuhl. Sie beobachtete ihn und runzelte die Stirn, als sei er ein Schuljunge.
    »Falls Sie denken, es macht mir was aus, auf welchem Stuhl Sie sitzen,

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