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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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zugeben, daß er nicht Ihren Erwartungen entspricht. Ich glaube, daß Sie seit langem unglücklich sind, eventuell schon immer. Ihre letzte Beziehung war vielleicht so etwas wie ein Lichtblick. Ich glaube jedoch, daß Sie trotzdem – und immer schon – ein unglücklicher Mensch waren.«
    Sie machte eine Pause, aber Bosch sagte nichts. Er wußte, daß Sie noch nicht fertig war.
    »Vielleicht haben Sie wegen der Ereignisse der letzten Jahre, die für Sie und die Polizei traumatisch waren, Bilanz gezogen. Und ich fürchte, Sie glauben – bewußt oder unbewußt daß Sie Ihr Leben wieder auf die rechte Bahn bringen, indem Sie zurückgehen und Ihrer Mutter Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und darin besteht das Problem. Egal, wie Ihre Ermittlungen ausgehen werden, es wird nichts ändern. Es kann nichts ändern.«
    »Sie meinen, daß ich dem, was damals passiert ist, nicht die Schuld dafür geben kann, was aus mir geworden ist?«
    »Nein, hören Sie mir zu, Harry. Ich meine damit, daß Sie aus vielen Teilen zusammengesetzt sind, nicht nur aus einem. Es ist wie beim Dominospiel. Viele Steine müssen zusammenpassen, damit man ans Ende kommt, zu dem Punkt, an dem Sie sich befinden. Man kann nicht vom ersten zum letzten Stein springen.«
    »Also soll ich es aufgeben? Es sein lassen?«
    »Das sage ich nicht. Aber ich habe Schwierigkeiten, den emotionalen Nutzen, die Heilwirkung zu sehen. Es ist sogar gut möglich, daß Sie sich mehr schaden als heilen. Wäre das sinnvoll?«
    Bosch stand auf und ging ans Fenster. Er schaute hinaus, nahm aber nicht auf, was er sah. Er fühlte, wie die Sonne ihn wärmte. Ohne sie anzusehen, antwortete er.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll ist. Aber es scheint in jeder Hinsicht sinnvoll zu sein, daß ich es tue. Tatsächlich … ich weiß nicht welches Wort ich benutzen soll … schäme ich mich sogar, daß ich es nicht schon lange vorher getan habe. Viele Jahre sind vergangen, habe ich verstreichen lassen. Ich empfinde es so, als ob ich sie – und mich – im Stich gelassen habe.«
    »Das ist verständ…«
    »Erinnern Sie sich an das, was ich am ersten Tag gesagt habe? Jeder zählt, oder niemand zählt. Nun, lange Zeit hat sie nicht gezählt. Nicht für die Polizei, nicht für die Gesellschaft, nicht einmal für mich. Das muß ich mir eingestehen: nicht einmal für mich. Dann habe ich diese Akte aufgeschlagen und gesehen, daß ihr Fall einfach abgelegt wurde. Im Archiv vergraben, so wie ich sie vergraben habe. Es war ein abgekartetes Spiel, weil sie nicht zählte, weil sie es deshalb tun konnten. Und wenn ich daran denke, wie lange ich nichts … dann möchte ich … ich weiß nicht … am liebsten im Erdboden versinken.«
    Unfähig, in Worte zu fassen, was er sagen wollte, brach er ab. Er schaute hinunter und sah, daß keine Enten mehr im Fenster der Metzgerei hingen.
    »Wissen Sie«, sagte er, »sie war, was sie war. Aber manchmal glaube ich, daß ich noch nicht einmal so eine Mutter verdiente … Ich sollte mich also nicht beklagen.«
    Er blieb am Fenster und schaute sie nicht an. Es dauerte einige Augenblicke, bis Hinojos sprach.
    »Ich schätze, das ist der Moment, wo ich sagen sollte, daß Sie zu hart über sich urteilen. Aber ich bezweifle, daß es viel helfen würde.«
    »Nein, es würde nichts helfen.«
    »Könnten Sie zurückkommen und sich hinsetzen? Bitte?«
    Bosch tat wie ihm geheißen. Als er saß, trafen sich ihre Augen endlich. Sie sprach zuerst.
    »Ich wollte nur sagen, daß Sie alles durcheinanderbringen. Sie spannen den Wagen vor das Pferd. Sie können sich nicht die Schuld daran geben, daß der Fall eventuell vertuscht wurde. Erstens hatten Sie nichts damit zu tun, und zweitens wußten Sie erst davon, als Sie diese Woche die Akte lasen.«
    »Begreifen Sie doch! Warum habe ich sie mir nicht vorher angesehen? Ich bin nicht neu hier, sondern schon seit zwanzig Jahren Cop. Ich hätte schon eher ins Archiv gehen sollen. Es spielt doch keine Rolle, daß ich die Details nicht kannte. Ich wußte, sie wurde umgebracht und nichts wurde unternommen. Das hätte ausreichen sollen.«
    »Harry, überlegen Sie es sich gut. Heute nacht auf dem Flug, okay? Ihr Vorhaben ist ehrbar, aber Sie müssen aufpassen, daß Sie sich nicht selbst schaden. Das ist es letztendlich nicht wert. Es ist den Preis nicht wert, den Sie vielleicht dafür bezahlen müssen.«
    »Nicht wert? Der Mörder läuft frei herum. Er glaubt, er ist davongekommen. Seit Jahren, Jahrzehnten denkt er das. Aber ich

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