Der letzte Coyote
schön, blauen Himmel zu sehen.«
Es war die Frau, die neben ihm saß. Sie lehnte sich herüber und schaute auch aus dem Fenster. Sie war Mitte vierzig, ihr Haar vorzeitig ergraut, fast weiß. Zu Beginn des Fluges hatten sie sich eine Weile unterhalten, und Bosch wußte, daß sie nach Florida zurückzog. Sie hatte L. A. fünf Jahre ihres Lebens gegeben, und jetzt hatte sie die Nase voll. Sie kehrte nach Hause zurück. Bosch hatte sie nicht gefragt, wer oder was sie zu Hause erwartete, fragte sich jedoch, ob ihre Haare schon bei ihrer Ankunft vor fünf Jahren in L. A. weiß gewesen waren.
»Ja«, erwiderte er, »diese Nachtflüge dauern ewig.«
»Nein, ich meinte den Smog. Hier gibt es keinen.«
Bosch schaute sie an und dann aus dem Fenster und betrachtete den Himmel.
»Noch nicht.«
Aber sie hatte recht. Der Himmel hatte einen Blauton, den man in L. A. selten sah. Die Farbe von Swimmingpools. Dicke, weiße Kumuluswolken schwebten wie Träume hoch oben.
Das Flugzeug rollte langsam aus. Bosch wartete bis zum Ende und stand dann auf. Er bewegte seinen verspannten Rücken, um sich zu lockern. Die Wirbel in seinem Rückgrat knackten wie umfallende Dominosteine. Er nahm seine Reisetasche aus dem Gepäckfach und ging zum Ausgang.
Sowie er aus dem Flugzeug in die Gangway trat, schlug ihm die Luftfeuchtigkeit wie ein aufgewärmtes, nasses Handtuch ins Gesicht. Er schleppte sich in den kühlen Terminal und beschloß, seinen Plan, ein Kabrio zu mieten, fallenzulassen.
Eine halbe Stunde später überquerte er auf der 275 die Bucht von Tampa in einem neuen Mustang. Er hatte die Fenster geschlossen und die Klimaanlage angeschaltet, aber sein Körper hatte sich immer noch nicht akklimatisiert und schwitzte.
Am meisten fiel ihm bei seiner ersten Fahrt durch Florida auf, wie flach das Land war. Er war fünfundvierzig Minuten gefahren, ohne den kleinsten Hügel zu sehen, als er einen Berg aus Stahl und Beton erreichte, die Skyway Bridge. Bosch wußte, daß die steil ansteigende Brücke an der Mündung der Bucht eine andere ersetzte, die eingestürzt war, fuhr aber furchtlos und schneller als erlaubt hinüber. Schließlich kam er aus Los Angeles, das gerade ein Erdbeben hinter sich hatte und wo die inoffizielle Richtgeschwindigkeit unter Brücken und Überführungen weit rechts auf dem Tachometer angesiedelt war.
Nach der Brücke mündete der Freeway in die 75. Er erreichte Venice zwei Stunden nach der Landung. Die kleinen Motels am Tamiami Trail in ihren Pastelltönen sahen in seinen ermüdeten Augen einladend aus, aber er fuhr weiter und suchte nach einem Geschenkartikelladen und einem Münztelefon.
Er fand beides im Coral-Reef-Einkaufszentrum. Der Laden machte erst um zehn auf. Er hatte noch fünf Minuten Zeit. Also ging er zum Münztelefon an der Außenwand des sandfarbenen Einkaufszentrums und schaute im Telefonbuch nach der Adresse des Postamts. Da zwei aufgelistet waren, holte Bosch sein Notizbuch heraus und sah Jake McKittricks Postleitzahl nach. Er rief eines der Postämter an und erfuhr, daß das andere für diese Postleitzahl zuständig war. Bosch dankte dem Beamten für die Auskunft und legte auf.
Als das Geschenkartikelgeschäft aufmachte, suchte Bosch den Gang für Karten und fand dort eine Geburtstagskarte mit einem knallroten Kuvert. Er ging damit nach vorne, ohne die Innen- oder Außenseite der Karte gelesen zu haben, und nahm sich noch einen Stadtplan aus dem Ständer neben der Kasse.
»Das ist eine schöne Karte«, sagte die alte Frau an der Kasse und tippte den Preis ein. »Sie wird ihr sicher gefallen.«
Sie bewegte sich langsam, wie unter Wasser, und Bosch hätte am liebsten über die Theke gegriffen und selbst die Kasse betätigt, damit es schneller ginge.
Im Mustang steckte Bosch die Karte in den Umschlag, ohne zu unterschreiben, klebte ihn zu und adressierte ihn mit McKittricks Namen und Postfach. Dann ließ er den Motor an und fuhr los.
Es dauerte fünfzehn Minuten, um mit Hilfe des Plans das Postamt an der West Venice Avenue zu finden. Drinnen war kaum etwas los. Ein alter Mann stand an einem Tisch und schrieb langsam eine Adresse auf ein Kuvert. Zwei ältere Frauen warteten auf einen freien Schalter. Als Bosch sich hinter sie stellte, wurde ihm bewußt, daß er in den paar Stunden schon viele Rentner gesehen hatte. Es bestätigte sein Klischeebild von Florida.
Bosch sah sich um und erblickte eine Videokamera an der Wand hinter den Schaltern. Sie war so angebracht, daß sie die Kunden und
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