Der letzte Coyote
mögliche Räuber erfaßte – nicht so sehr die Beamten, obwohl deren Arbeitsplätze auch voll sichtbar waren. Es schreckte ihn nicht ab. Er zog einen Zehn-Dollar-Schein aus der Tasche, faltete ihn sorgfältig und hielt ihn mit dem roten Umschlag fest. Dann sah er sein Wechselgeld durch und zählte den genauen Betrag ab. Die Frauen schienen den Beamten fürchterlich lange in Anspruch zu nehmen.
»Der Nächste.«
Bosch war an der Reihe und trat an den Schalter, wo der Beamte wartete. Er war ungefähr sechzig, korpulent und hatte einen schneeweißen Bart. Seine Haut war stark gerötet, als sei er wütend.
»Ich brauche eine Briefmarke hierfür.«
Bosch legte das Kleingeld und das Kuvert auf den Schalter, der Zehner lag gefaltet obenauf. Der Beamte tat, als sehe er ihn nicht.
»Ich habe eine Frage. Ist die Post von heute schon in den Postfächern?«
»Sie wird gerade einsortiert.«
Er gab Bosch eine Briefmarke und strich das Kleingeld ein, ohne das Kuvert oder den Zehner anzurühren.
»Ach, wirklich?«
Bosch nahm den Umschlag, leckte die Briefmarke und klebte sie auf. Dann legte er das Kuvert auf den Zehner. Er war sich sicher, daß der Beamte es beobachtet hatte.
»Ach, äh … ich wollte, daß mein Onkel das heute noch bekommt. Heute ist sein Geburtstag. Könnten Sie es nach hinten bringen lassen, damit er es noch erhält? Ich würde es ihm ja persönlich bringen, aber ich muß jetzt zur Arbeit.«
Bosch schob den Umschlag mit dem Geldschein darunter über den Schalter zu dem Weißbärtigen.
»Nun«, sagte er, »ich werde sehen, was sich machen läßt.«
Der Beamte drehte seinen Körper nach rechts, um den Vorgang von der Kamera abzuschirmen. Er schob den Zehner schnell in die andere Hand und steckte ihn dann in die Tasche.
»Bin gleich zurück«, sagte er zu den Leuten in der Schlange.
Im Eingangsbereich fand Bosch Postfach 313 und sah durch die kleine Glasscheibe. Das rote Kuvert lag da mit zwei anderen, weißen Briefen. Der eine stand auf dem Kopf, und die Absenderadresse war teilweise sichtbar.
Stadt
Poliz
Postf
Los A
90021
Bosch war sich ziemlich sicher, daß der Umschlag McKittricks Rente enthielt. Er hatte das Wettrennen gewonnen. Er verließ das Postamt und holte sich nebenan zwei Becher Kaffee sowie eine Schachtel Doughnuts. Dann ging er zu seinem Mustang zurück, um in der steigenden Hitze zu warten. Es war noch nicht einmal Mai. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es hier im Sommer wäre.
Nach einer Stunde langweilte es ihn, das Postamt zu beobachten, und er schaltete das Radio an. Es war auf einen christlich fundamentalistischen Sender eingestellt. Erst nach ein paar Sekunden merkte Harry, daß das Thema der Predigt das Erdbeben in Los Angeles war. Er entschied sich, den Sender nicht zu wechseln.
»Und ich frage euch, ist es Zufall, daß sich die Erde auftat und die Stadt erschütterte, die die gesamte Nation mit dreckiger Pornographie verseucht? Ich glaube nicht! Ich glaube der HERR hat die Ungläubigen geschlagen, die diese Milliarden-Dollar-Industrie betreiben, als er die Mauern der Stadt einstürzen ließ. Es ist ein Zeichen des HERRN, meine Freunde, ein Zeichen für das, was kommen wird. Ein Zeichen, daß nicht alles …«
Bosch schaltete aus. Eine Frau, die ein rotes Kuvert und andere Briefe in der Hand hielt, war gerade aus der Post gekommen. Er beobachtete, wie sie zu einem silbernen Lincoln Town Car ging, und schrieb instinktiv die Wagennummer auf, obwohl er keinerlei Beziehungen zu Polizisten in Florida hatte, die die Nummer überprüfen könnten. Die Frau war Mitte Sechzig, schätzte Bosch. Er hatte mit einem Mann gerechnet, aber ihr Alter paßte. Er startete den Mustang und wartete, daß sie abfuhr.
Sie fuhr nördlich auf der Hauptverbindungsstraße nach Sarasota. Der Verkehr bewegte sich langsam. Nach fünfzehn Minuten und vielleicht zwei Meilen bog sie links auf die Vamo Road ab und fuhr danach sofort rechts auf eine Privatstraße, die zwischen hohen Bäumen und grüner Vegetation verborgen war. Bosch war nur Sekunden hinter ihr. Als er die Zufahrt erreichte, fuhr er langsamer, bog jedoch nicht ein. Zwischen den Bäumen sah er ein Schild.
Willkommen in Pelican Cove
Eigentumswohnungen,
Bootsanlegestellen
Der Town Car passierte ein Wachhäuschen mit einer rotweißen Schranke.
»Scheiße.«
Bosch hatte nicht mit einer eingezäunten Privatsiedlung gerechnet. Er hatte angenommen, daß so etwas außerhalb von Los Angeles selten war. Er schaute
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