Der letzte Coyote
Flughafen.«
»Das auch.«
Bosch stieg aus. Falls niemand an die Tür kam, war das der schnellste Verlust von vierzig Dollar in Las Vegas. Aber er hatte Glück. Eine Frau, Ende Sechzig, öffnete die Tür, bevor er klopfen konnte. Warum auch nicht, dachte er. In diesem Haus sah man Besucher meilenweit.
Bosch fühlte die kalte Luft der Klimaanlage, die aus dem Haus strömte.
»Mrs. Eno?«
»Nein.«
Bosch zog sein Notizbuch heraus und verglich die Adresse mit der schwarzen Hausnummer neben der Tür. Sie stimmten überein.
»Olive Eno wohnt nicht hier?«
»Das haben Sie nicht gefragt. Ich bin nicht Mrs. Eno.«
»Könnte ich dann bitte mit Mrs. Eno sprechen?« Verärgert über ihre Pedanterie zeigte er ihr die Dienstmarke, die McKittrick ihm zurückgegeben hatte. »Es handelt sich um eine polizeiliche Angelegenheit.«
»Nun, Sie können’s versuchen. Sie hat seit drei Jahren mit niemandem gesprochen. Außer in ihrer Einbildung.«
Sie wies mit der Hand ins Haus und Bosch trat ein.
»Ich bin ihre Schwester. Ich pflege sie. Sie ist in der Küche. Wir waren gerade beim Mittagessen, als ich die Staubwolke sah und hörte, wie Sie ankamen.«
Bosch folgte ihr einen mit Fliesen ausgelegten Flur entlang zur Küche. Das Haus roch nach Alter, Staub, Schimmel und Urin. In der Küche saß eine gnomenhafte Frau mit weißen Haaren in einem Rollstuhl. Sie füllte den Sitz nur zur Hälfte aus. Vor ihr war ein Tablett angebracht, auf dem ihre verknoteten, perlweißen Hände gefaltet lagen. Beide Augen hatten grauen Star und schauten leblos in die Welt. Bosch bemerkte eine Schüssel mit Apfelmus auf dem nahen Tisch. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann begriff er.
»Sie wird im August neunzig«, sagte die Schwester. »Wenn sie es schafft.«
»Wie lange ist sie schon in diesem Zustand?«
»Schon lange. Ich pflege sie jetzt seit drei Jahren.« Sie beugte sich hinunter zu dem gnomenhaften Gesicht und sagte laut: »Nicht wahr, Olive?«
Die laute Frage schien einen Schalter zu betätigen. Olive Enos Unterkiefer begann sich zu bewegen, aber kein verständlicher Laut kam heraus. Nach einer Weile gab sie auf und die Schwester richtete sich wieder auf.
»Ist schon gut, Olive. Ich weiß, daß du mich liebst.«
Sie sprach diesen Satz nicht so laut aus. Vielleicht befürchtete sie, daß Olive ihr widersprechen könnte.
»Wie heißen Sie?« fragte Bosch.
»Elizabeth Shivone. Worum geht es? Auf Ihrer Dienstmarke steht Los Angeles, nicht Las Vegas. Sind Sie hier nicht etwas außerhalb Ihres Reviers?«
»Wie man’s nimmt. Es geht um ihren Mann. Einen seiner alten Fälle.«
»Claude ist jetzt schon bald fünf Jahre tot.«
»Wie ist er gestorben?«
»Einfach so. Sein Herz versagte. Er lag hier auf dem Boden. Ungefähr da, wo Sie stehen.«
Sie sahen beide auf den Boden, als läge sein Körper noch dort.
»Ich bin gekommen, um seine Sachen durchzusehen«, sagte Bosch.
»Was für Sachen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hat er Polizeiakten behalten.«
»Sagen Sie mir bitte genau, worum es sich handelt. Das kommt mir alles komisch vor.«
»Ich untersuche einen Fall, den er 1961 bearbeitet hat. Er wurde nie gelöst. Teile der Akte fehlen. Ich vermute, daß er sie genommen hat. Vielleicht war etwas Wichtiges dabei, das er behalten hat. Ich weiß nicht, was. Irgendwas. Ich nehme an, es ist einen Versuch wert.«
Er konnte sehen, daß sie darüber nachdachte. Plötzlich erstarrten ihre Augen für eine Sekunde, als hätte sie sich an etwas erinnert.
»Es gibt etwas, nicht wahr?« sagte er.
»Nein. Ich glaube, Sie sollten gehen.«
»Es ist ein großes Haus. Hatte er hier ein Büro?«
»Claude ist vor dreißig Jahren aus dem Polizeidienst geschieden. Er hat sich ein Haus hier in der Wüste gebaut, um nichts mehr damit zu tun zu haben.«
»Was hat er getan, nachdem er hierherzog?«
»Er war Sicherheitskraft im Casino. Zuerst ein paar Jahre im Sands, dann im Flamingo. Er bekam zwei Renten und hat sich gut um Olive gekümmert.«
»Da Sie die Rente erwähnen, wer unterschreibt jetzt eigentlich die Überweisungsschecks?«
Bosch schaute zu Olive Eno, um seine Frage zu unterstreichen. Die Frau schwieg einen Moment und ging dann in die Offensive.
»Hören Sie, ich könnte eine Vollmacht bekommen. Sehen Sie sie an. Das würde kein Problem sein. Ich pflege sie, Mister.«
»Ja, Sie speisen sie mit Apfelmus ab.«
»Ich habe nichts zu verbergen.«
»Wollen Sie, daß jemand das näher untersucht, oder sollen wir es vergessen? Mir ist
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