Der letzte Coyote
egal, was Sie hier tun oder ob Sie wirklich ihre Schwester sind. Ich würde wetten, Sie sind’s nicht. Aber das ist mir wirklich egal. Ich hab’ genug anderes zu tun. Ich will nur Enos Sachen durchsehen.«
Er hörte auf zu sprechen und ließ sie über seinen Vorschlag nachdenken. Er sah auf die Uhr.
»Sie haben also keinen Durchsuchungsbefehl, oder?«
»Nein, aber ich habe ein Taxi, das auf mich wartet. Wenn ich mir erst einen Durchsuchungsbefehl besorgen muß, werde ich nicht mehr so charmant sein.«
Sie musterte ihn von oben bis unten, als wollte sie abschätzen, wie charmant oder ungalant er sein konnte.
»Zum Büro geht es da lang.«
Sie spuckte die Worte aus, als wären es Reißzwecken. Dann führte sie ihn links den Flur entlang zu einem Arbeitszimmer, in dem ein Metallschreibtisch, zwei Karteischränke sowie zwei Stühle standen. Das war beinahe das ganze Inventar.
»Nachdem er gestorben war, haben Olive und ich alles in die Karteischränke gelegt und sie seitdem nicht mehr geöffnet.«
»Sie sind alle voll?«
»Alle acht Schubladen. Sehen Sie nach.«
Bosch griff in seine Tasche und zog einen weiteren Zwanziger heraus. Er riß ihn in der Mitte durch und gab Shivone eine Hälfte.
»Geben Sie das der Taxifahrerin. Sagen Sie ihr, es wird etwas länger dauern.«
Sie atmete laut aus, riß ihm die Hälfte aus der Hand und ging. Nachdem sie weg war, öffnete Bosch zunächst die Schubladen des Schreibtisches. Die ersten beiden waren leer. Die nächste enthielt Schreibpapier und Büromaterial. In der vierten fand er ein Scheckbuch, das er schnell durchblätterte. Es war ein Privatkonto für Haushaltsausgaben. Außerdem lag dort ein Hefter mit Quittungen neueren Datums und Dokumenten. Die letzte Schublade war verschlossen.
Er begann mit den untersten Schubläden der Karteischränke und arbeitete sich nach oben durch. In den ersten gab es nichts, was im entferntesten mit dem Fall zu tun hatte. Er fand Akten zu einzelnen Casinos und solche über bekannte Spielbetrüger. Eno hatte alle möglichen Informationen für ein Privatarchiv gesammelt. Inzwischen war Shivone zurückgekommen und hatte sich auf der anderen Seite des Schreibtisches auf den Stuhl gesetzt.
»Was hat Claude denn für die Casinos getan?«
»Er war Spürhund.«
»Was ist das?«
»So etwas wie ein Zivilfahnder. Er hat vom Casino Spielmarken bekommen und sich unter die Leute gemischt. Er hatte eine Nase für Betrüger und ihre Methoden.«
»Ja, manchmal sollte man den Bock zum Gärtner machen.«
»Was soll das heißen? Er hat gute Arbeit geleistet.«
»Das glaub’ ich. Haben Sie ihn dabei kennengelernt?«
»Ich beantworte keine Ihrer Fragen mehr.«
»Ich habe nichts dagegen.«
Es waren nur noch zwei Schubladen übrig. Er öffnete eine und stellte fest, daß sie keine Akten enthielt. Nur ein altes verstaubtes Filofax und andere Gegenstände, die ehemals wohl auf dem Schreibtisch gestanden hatten: ein Aschenbecher, eine Uhr, eine hölzerne Schale für Stifte, in die Enos Name geschnitzt war. Bosch nahm das Filofax und stellte es auf den Karteischrank. Nachdem er den Staub weggeblasen hatte, drehte er daran, bis er zum Buchstaben C kam. Er sah die Karten durch, fand aber keine mit Conklins Namen. Bei Gordon Mittel hatte er ebenfalls keinen Erfolg.
»Wollen Sie etwa das ganze Ding durchsehen?« fragte Shivone beunruhigt.
»Nein, ich werde es mitnehmen.«
»Oh nein! Sie können nicht so einfach hier reinkommen …«
»Ich nehm’s mit. Wenn Sie sich beschweren wollen, bitte schön. Ich werde dann eine Beschwerde über Sie einreichen.«
Danach war sie still. Bosch öffnete die letzte Schublade und fand ungefähr ein Dutzend Akten alter Fälle, die sich in den fünfziger und frühen sechziger Jahren in L. A. ereignet hatten. Wieder studierte er nur die aufgeklebten Etiketten. Keines trug die Aufschrift Marjorie Lowe. Hier und da öffnete er eine Akte und kam zu dem Schluß, daß Eno Kopien von einigen Akten gemacht hatte, bevor er aus dem Dienst geschieden war. Die Akten, die er aufschlug, betrafen alle Morde, einschließlich zweier an Prostituierten. Nur einer der Fälle war gelöst worden.
»Holen Sie mir einen Karton oder eine Tüte für diese Akten«, sagte Bosch über die Schulter. Als er merkte, daß die Frau sich nicht bewegte, bellte er: »Nun machen sie schon!«
Sie stand auf und ging. Bosch betrachtete die Akten und dachte nach. Er hatte keine Ahnung, ob sie wichtig waren oder nicht. Was ihre Bedeutung war. Er wußte nur,
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