Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
Vom Netzwerk:
wieder blicken lassen sollte, sag ihm, dass hier aufgeräumt ist, wenn ich das nächste Mal reinschaue.«
    Lars nickte. Die Zimmertür fiel ins Schloss, Schritte entfernten sich. Lars flüsterte zwischen zusammengepressten Zähnen:
    »Wieso hat er dich nicht gesehen?«
    Ich starrte weiter auf die Tür, als würde ich erwarten, dass mein Vater jeden Moment lachend und mit einem Tara! wieder hereinkommen und mir erklären würde, das wäre doch alles halb so schlimm, das wären doch nur Flügel, und wer auf zwei Beinen steht, der ist noch lange nicht tot.
    Lars schnippte vor meinem Gesicht herum.
    »He, Alter, wieso kann ich dich sehen und hören?«, wollte er wissen.
    Ich wusste es nicht, ich wusste nichts.
    Lars schaute sich in meinem Zimmer um.
    »Und wie geht das, wenn du unsichtbar bist?«
    Er meinte das Chaos. Auch darauf hatte ich keine Antwort.
    »Und wenn du wirklich tot bist, wo ist dann …«
    Lars verstummte. Wir sahen gleichzeitig zum Schlafzimmer, setzten uns in Bewegung und blieben unter dem Torbogen stehen. Da war mein Bett und da lag ich auf der rechten Seite der Matratze mit dem aufgeklappten Comic auf der Brust. Mein linker Arm hing herunter und berührte den Boden, mein rechter Fuß schaute unter der Decke hervor und es fehlte nur ein Zettel um den Zeh herum. Meine Augen standen offen und starrten auf den Sternenhimmel über meinem Bett, der nur im Dunkeln zu sehen war. Ich sah die blasse Narbe unter meinem Bauchnabel, aber ich erkannte mich nicht wirklich wieder. Ich hatte mich noch nie im Bett liegen sehen. Ich weiß noch genau, was ich dachte: So sehe ich also aus. Klein und verloren. Blass und tot. Als hätte mich jemand aus billigem Marmor gehauen und unter die Decke geschoben.
    »Wie konntest du aufstehen und nicht merken, dass du da noch liegst?«, fragte Lars und klang dabei leicht hysterisch.
    »Ich hatte andere Probleme«, sagte ich und erinnerte mich, wie schwer und träge sich mein Körper nach dem Aufwachen angefühlt hatte. Wahrscheinlich wäre ich vollkommen durchgedreht, wenn ich einen Blick über die Schulter geworfen und meine Leiche dort liegen gesehen hätte. Falls das deine Leiche ist, hauchte eine misstrauische Stimme in meinem Kopf. Ich wollte Lars eben erklären, dass ich das da im Bett vielleicht gar nicht war, da sagte mein bester Kumpel auch schon:
    »Oh Mann, das bist wirklich du!«
    Und mehr gab es dazu nicht zu sagen.
    Wir konnten nicht mehr auf meinen toten Körper runterschauen und wichen zurück, wir traten durch den Torbogen und standen ratlos in meinem Zimmer.
    »Ich weiß ja nicht, was du denkst, aber ich denke, wir sollten hier ganz schnell verschwinden«, sagte Lars und ging zum Fenster. Er hatte schon ein Bein draußen, bevor ich ihn fragen konnte, was er da eigentlich tat.
    »Ich will nicht da sein, wenn dein Vater herausfindet, dass du tot bist. Der denkt doch bestimmt, ich habe was damit zu tun.«
    »Du?«
    »Siehst du hier sonst noch jemanden, der atmet und schwitzt und nicht unsichtbar ist? Also komm schon, machen wir die Fliege.«
    Lars zog das andere Bein hinterher und stand auf dem Garagendach, ich rührte mich nicht von der Stelle.
    »Motte, was ist?«
    »Ich kann nicht«, sagte ich und sah zum Torbogen.
    Ich konnte wirklich nicht. Ich konnte mich selbst nicht einfach tot im Bett liegen lassen. Das war wie Verrat.
    »Geh ruhig«, sagte ich.
    »Alter, bist du dir sicher?«
    Ich nickte. Es war einfach, Lars zu überzeugen. Er war nicht der Mutigste, aber er war mein bester Freund. Lars versprach, er würde im Park auf mich warten. Er schwor es mir.
    »Lass dir Zeit, nimm Abschied oder was auch immer, ich warte auf dich.«
    Er ließ sich über den Rand des Garagendachs auf den Bürgersteig fallen. Sekunden später sah ich ihn die Straße hochlaufen. Er schaute nicht zurück. Er sah aus wie jemand, der gerade seinen besten Kumpel ermordet hatte.
    Und jetzt?
    Ich kehrte in mein Schlafzimmer zurück und setzte mich auf den Bettrand. Mein Körper lag still und unschuldig da. Das war genau das Wort. Unschuldig. Ich berührte mein rechtes Bein. Es war starr und kalt. Ich spürte, wie sich die Federn auf meinem Rücken bewegten, als wollten mir meine Flügel was sagen.
    Ich nahm die Hand wieder weg.
    Vielleicht vergingen Minuten, vielleicht waren es Stunden.
    Irgendwann rief mein Vater nach mir, dann kam er die Treppe hoch. Ich hörte ihn die Tür öffnen, er kam in mein Zimmer und stand eine Weile im Chaos herum. Ich hörte ihn fluchen, seine Schritte näherten

Weitere Kostenlose Bücher