Der letzte Exfreund meines Lebens
kommt nicht einfach so« – er schnipste mit den Fingern – »darüber hinweg, wenn man von den Eltern im Stich gelassen wird. Gefühle des Verlassen-worden-Seins gehen nämlich sehr tief. Ich habe Leute in meiner Gruppe, die weit über fünfzig sind und sich nach wie vor mit diesem Thema beschäftigen.«
»Wirklich?«
»Glaub mir, in seinem Inneren ist Will noch immer das verlassene Kind, das nach Liebe und Sicherheit verlangt.«
»Gott, glaubst du wirklich?«, fragte Kate entsetzt. Zwei Bilder von Will hatten sich ihr für alle Zeiten eingeprägt: das eine, wie er auf Helens Beerdigung allein am Grab der Mutter gestanden hatte, wobei sein dunkler Anzug und das dichte dunkle Haar seine Blässe noch betont hatten; das andere, wie er bis auf die Haut durchnässt und zitternd wie ein junger Hund in ihrer Küche gesessen hatte, nachdem er aus dem Internat geflüchtet war. Die Vorstellung, dass Will in seinem tiefsten Inneren vielleicht noch immer dieser verlorene, unglückliche Junge war, brach ihr das Herz.
»Vielleicht auch nicht«, antwortete Brian, dem das Spiel der Emotionen in ihrem Gesicht nicht verborgen geblieben war.
Kate zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Aber du hast eben noch gesagt …«
»Du kennst ihn besser als ich. Mangelnde Sensibilität und mangelnde Selbsterkenntnis können manchmal eben auch von Vorteil sein.«
»Nur weil er nicht ständig Nabelschau betreibt und irgendwelche Durchbrüche dabei erzielt, ist Will weder unsensibel noch fehlt es ihm an Selbsterkenntnis«, protestierte Kate. »Hingegen hat Suzanne nicht die geringste Selbsterkenntnis, sondern ist einfach entsetzlich egozentrisch. Was etwas vollkommen anderes ist.« Kate war sich bewusst, dass ihre Stimme schnippisch klang, doch das war ihr egal. Wahrscheinlich hatte Brian an Suzanne gedacht, als er ihr eine Beziehungspause vorgeschlagen hatte, ehe sie nach Afrika geflogen war. »Ich nehme an, Suzanne ist auch in der Gruppe für verlassene Kinder?«, fragte sie.
»In der Tat, das ist sie. Denn sie wurde adoptiert.«
»Das überrascht mich nicht. Wenn sie meine Tochter wäre,
hätte ich sie nämlich garantiert ebenfalls auf irgendeine fremde Türschwelle gelegt«, fauchte Kate.
»Sie kann manchmal wirklich etwas heftig sein«, gab Brian zu ihrer Überraschung zu. Denn tatsächlich hatte er, als Kate in Afrika gewesen war, seine Beziehung zu Suzanne gründlicher erforscht und war zu dem Schluss gekommen, dass ihre Bedürftigkeit äußerst anstrengend war. Das hatte ihm bewiesen, dass er doch lieber mit Kate zusammen war. Sie war deutlich weniger neurotisch als sämtliche anderen Frauen, die er kannte, was, da er sich beruflich ständig mit den Leiden anderer befasste, wunderbar entspannend war.
»Ich dachte, wir gehen eine Pizza essen«, schlug er fröhlich vor. »Ich weiß, wie gern du Pizza isst – und mach dir keine Sorgen, weil du gerade pleite bist. Ich lade dich zur Feier deiner Rückkehr ein.«
»Einmal vegetarisch de luxe«, verkündete die Bedienung fröhlich, während Kate sich alle Mühe gab, sich nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht sie von der mittelgroßen Pizza war, die die junge Dame schwungvoll zwischen ihnen auf die Tischplatte fallen ließ. Bereits kurz nach ihrem Kennenlernen hatte sie gelernt, dass es wörtlich zu verstehen war, wenn Brian ihr erklärte, er würde sie auf eine Pizza einladen. Und die eine Pizza, die es für sie beide gab, schnitt er immer feierlich in der Mitte durch, damit nicht einer mehr als der andere bekam. Beim ersten Mal hatte sie nichts dazu gesagt. Es hatte Brian bereits leicht schockiert, dass sie keine Vegetarierin war, und sie hatte seinen Schreck nicht noch dadurch vergrößern wollen, dass sie eine Pizza, mit der sie eine kleine afrikanische Nation einen Monat lang hätte ernähren können, ganz allein verschlang. Denn eins von Brians Lieblingsthemen war die Nahrungsmittelknappheit auf der Erde, und er sollte nicht denken, seine Freundin wäre schuld daran.
Außerdem hatte sie nicht erwartet, dass ihre Beziehung längerfristig hielte, und darum kein unnötiges Aufheben darum gemacht – weshalb sie jetzt gezwungen war, ihren Ärger zu verbergen, als er gut gelaunt die Pizza in zwei Hälften schnitt. Und nicht nur die Größe ihrer Mahlzeit störte sie, sondern auch die Tatsache, dass sie mal wieder vegetarisch war, während sie sich nach Salami sehnte, deren würzige Schärfe sich mit der fruchtigen Frische der Tomatensoße zu einem kulinarischen
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