Der letzte Grieche
gegeben«, sagte der Mann. »Über so etwas würde ich nicht einmal am 1. April einen Scherz machen.« »Scherz?« Jannis wusste nicht, wovon die Männer sprachen. Der andere Kunde gab vor zu hinken, als er das Geschäft verließ. »Am besten fragst du unseren Jesus hier. Thanassis weiß alles darüber, wie man die Lahmen heilt.« Jannis wandte sich um. »Welche Lahmen, Thanassis?«
Als sich die Anspielungen mit der Zeit häuften, erkannte er, dass man sich über ihn lustig machte. Auf den Feldern behaupteten die Bauern, wer sich nicht rechtzeitig an den herrlichen Gaben labe, müsse sich eben mit Fallobst begnügen. Im Übrigen sei die Zeit der Wunder noch nicht vorbei. Tsoulas habe jemanden aus dem Nachbardorf wieder gehen gemacht. Abwarten, es dauere sicher nicht mehr lange, dann würde er Wasser in Wein verwandeln. Für einen solchen palikári gebe es keine Grenzen. Jetzt begriff Jannis, dass es um Efi ging. Aber wen sollte er um Rat fragen? Bestimmt nicht Tsoulas, der in nur einem Jahr der Weinhandlung seines Vaters zu neuer Blüte verholfen hatte und dank neuer Freunde unter den Gendarmen vom Wehrdienst befreit worden war.
Als es wärmer wurde, trug der Weinhändler auf seinen Touren nicht mehr die Lederjacke, hatte aber weiterhin, getreu seiner Gewohnheit, die Motorradbrille auf. Diese schob er sich in die Stirn, als er eines Abends vor einer Gruppe von Dorfbewohnern bremste, die von den Feldern heimkehrten. Die Sonne blitzte im Glas, die Gummiränder hatten einen Abdruck auf seinem Gesicht hinterlassen. Die Männer versammelten sich um die Maschine, nur Jannis hielt sich fern. »Wie laufen die Geschäfte?«, erkundigte sich ein Erntehelfer. »Die Geschäfte? Jetzt ist Wochenende, da geht’s ums Vergnügen.« Tsoulas kratzte sich scheinbar zufällig im Schritt. »Hast du etwa vor, noch mehr Wunder zu vollbringen?«, wollte ein anderer wissen. »Was tut man nicht alles für unsere Freunde in Neochóri?« Als er seine Brille justierte und das Motorrad antrat, sah der Weinhändler Jannis selbstgefällig an. Aber das Knattern wollte das Lachen der Männer einfach nicht übertönen. Die Scham, dachte Jannis. Wenn er nichts unternahm, würde sie ihn überleben.
»MESSER«. Als Jannis begriff, was keiner ihm gegenüber offen aussprechen wollte, wandte er sich ab, machte Umwege, ließ sich nichts anmerken. Als auch das nicht half, reagierte er traurig, niedergeschlagen, verzweifelt. Am Ende kochte er jedoch über.
Ein Jahr nach seinem letzten Besuch kehrte er nach Neochóri zurück. Er hatte sich gründlich vorbereitet und überprüft, dass das Motorrad bei seinem Aufbruch vor der Weinhandlung stand. Als er in das Nachbardorf kam, kontrollierte er in den Schaufensterscheiben sein Aussehen, ohne den Kopf zu sehr in deren Richtung zu drehen. Er trug saubere Kleider und hatte sich rasiert, seine Stirn wurde von einer sorgsam gekämmten Welle geschmückt. Trotzdem kam er sich idiotisch vor. Aber auch wenn er wusste, dass er sich eifersüchtig verhielt, vermochte er sein rußgeschwärztes Herz nicht zu beruhigen. Mit jedem Schaufenster, in dem er seine Silhouette zwischen Brettern und zusammengerollten Wasserschläuchen, goldglänzenden Ölkanistern und Plastiksandalen im Sonderangebot erblickte, wurde er verbitterter, und als er schließlich den Marktplatz erreichte, an dem die Apotheke lag, kam es ihm vor, als hätte er ein Anrecht auf Efi wie auf ein Tier.
Hinterher schämte er sich so in Grund und Boden, dass er sich weigerte, jemals wieder einen Fuß in das Nachbardorf zu setzen. An diesem Juniabend aber spürte er, wie sich sein Nacken straffte und seine Schenkel spannten. Er würde sie bitten, ihm reinen Wein einzuschenken. Wenn sie die Gerüchte abstritt, würde er ihr glauben, da konnten die Leute reden, was sie wollten. Wenn sie aber schwieg, oder noch schlimmer: Wenn sie Ausflüchte vorbrachte, um ihn zu schonen, würde er wortlos gehen. Was dann geschehen würde, war eine Sache zwischen ihm und Tsoulas.
Als Jannis den Marktplatz erreichte, entdeckte er Efi – und zu seiner Verblüffung auch den Weinhändler. Die beiden saßen unter einer Platane und hatten jeder ein »U-Boot« vor sich, einen Klumpen Vanillezucker in einem Glas Wasser. Plötzlich war es, als füllten sich seine Augen mit krankem Blut. »Tsoulas!«, schrie er und warf einen Stuhl um. Es war ihm unmöglich, die Fäuste aus seiner Stimme herauszuhalten. »Tsoulas, habe ich gesagt!« Jannis bahnte sich seinen Weg zu dem Tisch, von dem der
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