Der letzte Grieche
dann er auf sie. Schließlich spannten beide zurückgelehnt den Rücken an und hielten die Fäuste in Nabelhöhe, als wollten sie ein Pferd zähmen. Das Kindermädchen rief: »Stopp, stopp, ich kann nicht mehr!« Sie lachte, der Grieche auch. Anton hörte, dass ihr Lachen anders klang als vorher.
ÜBERALL . Als die Wäsche auf der Leine hing, pflückte Agneta eine Pusteblume, die sie an ihren Mund hob. »Willst du mal was Hübsches sehen?« Lächelnd pustete sie. Flaumhärchen wirbelten durch die laue Luft. »Plötzlich sind sie nirgendwo.« Jannis betrachtete Agneta verwundert, schüttelte den Kopf und pflückte eine neue Blume. Anschließend füllte er seine Lunge und blies. »Überall, Agneta mou . Überall.« Seine Stimme war dumpf und warm, der Wäschekorb in den Händen des Kindermädchens knirschte.
»Na schön, dann eben überall. Flaumhärchen eben.«
EIN TELEFONAT. Es folgt ein Telefonat am gleichen Abend. (Sowie ein unausgesprochener Gedanke.)
»Hast du schon deine Arbeitserlaubnis? Aha, ich verstehe. Gib nicht auf. Florinos weiß bestimmt, was er tut. Vielleicht überprüfen die Behörden ja nur, dass du keine politische Gefahr darstellst? Die Mühlen der Ämter mahlen garantiert. Bei uns hat es … Warte mal. [Rascheln im Hörer.] Drei? Waren es wirklich nur drei? [Erneutes Rascheln.] Efi behauptet, dass es bei uns drei Monate gedauert hat. Ich hätte schwören können, dass es acht oder vierzehn waren. Aber das spielt keine Rolle. Am Ende kam jedenfalls der Bescheid. Er lag auf dem Postamt! Man brauchte ihn nur abzuholen. Unglaublich. Zu Hause hätte ein Ausländer ein Jahr von Ministerium zu Ministerium rennen, einen Haufen Schmiergelder bezahlen und hunderte Stempel sammeln müssen. Und nicht einmal dann hätte er sicher sein können, dass eine Polizeikontrolle seine Papiere akzeptieren würde. Hier braucht man nur zur Post zu gehen und seinen Pass zu zeigen. Royaume de Grèce . Dann unterschreibt man und ist praktisch ein Schwede. Ich weiß, ich übertreibe. Aber du verstehst, was ich meine. Wenn du deine Arbeitserlaubnis bekommen hast, gibt es nicht mehr viel, was dich von Tante Gelb und Onkel Blau trennt. Dann musst du dir nur noch Schwedisch für Ausländer kaufen und pauken. Nein, das Buch, das ich dir gezeigt habe. Gunnar Rosén, du erinnerst dich? Und wenn du ›Hallo‹ und ›Tschüss‹ sagen gelernt hast, ist die Zeit reif, dich mit den Jugoslawen um die Jobs zu prügeln. Der Gewinner darf neun Stunden Sanitärporzellan polieren und bekommt acht Stunden bezahlt. Mittagessen und Pausen werden abgezogen, sogar der Gang auf die Toilette. Aber die Lohntüte kommt jede Woche, und keiner erhebt irgendeine Abgabe dafür. Dann kannst du mir das Geld zurückzahlen, wenn du unbedingt willst. Ich verspreche dir: Wenn du das nächste Mal mit den Behörden zu tun hast, wird es um eine Trauung oder eine Taufe gehen.«
»Ich bin nicht wie du, Kostas. Ich bin ein einfacher Grieche. Warum sollte ich hier bleiben?«
(Der unausgesprochene Gedanke: »Wegen Efi?«)
SCHAM . Es ist nicht ganz leicht zu sagen, was geschah und was nicht geschah, bis Efi und Jannis sich in Bromölla wiedersahen. Jedenfalls hatten die beiden Freunde größere Probleme, ein Paar zu werden, als Stella und andere angenommen hatten – trotz oder vielleicht auch wegen der Vorgänge im Straßengraben. Zum Teil lag es sicher an den sieben Kilometern und dreihundert Höhenmetern, die sie trennten, zum Teil daran, dass der eine arbeiten musste, während die andere in die Schule ging oder anfing, in der Apotheke auszuhelfen. Aber vor allem lag es an den Operationen. Die erste fand 1955 statt, nur zwei Tage nachdem Jannis den Flaschenhals über Efis Finger gestreift hatte. Der zweite Eingriff wurde vier Jahre später durchgeführt, etwa einen Monat, nachdem sich die Freunde Gedanken über eine frisch geprägte Zehndrachmenmünze gemacht hatten. Waren sie bei der ersten Gelegenheit noch zu jung gewesen, um zu wissen, was Menschen miteinander anstellen können, wussten bei der zweiten beide, was passieren konnte. Aber diesmal ließ Jannis’ Übereifer Efi zögern, und Efis Zögern machte ihn ratlos. Als sie schließlich nach Schweden reiste, schien alles aus zu sein.
Die Folgen von Jannis’ Eifer sind einfach zu beschreiben. Nachdem er die Münze mit dem Bild des Königs auf den Glastresen gelegt hatte, marschierte er nach Hause. Die Sommernacht war warm wie Samt. Der Mond half ihm ein wenig bei der Orientierung, aber er stolperte
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