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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Operation heimkehrte, dauerte es nicht lange, bis die Leute anfingen zu reden. Schon bald machten Anspielungen die Runde, und spätestens im April des folgenden Jahres wurden derbe, aber herzliche Witze ausgetauscht.
    Es folgen die Fakten.
    Im Herbst 1959 war Panajiotis Tsoulas gestorben, wahrscheinlich an den Folgen zu hohen Blutdrucks, gegen den er die Tabletten hätte nehmen sollen, die unangerührt im Badezimmerschrank lagen. Die Familie ließ den Priester aus Neochóri kommen, da man einen Royalisten nicht von einem früheren Revolutionär beerdigen lassen wollte. Danach übernahm sein Sohn Thanassis das Geschäft. Auf einem umgebauten Militärmotorrad, einem schwarzen und öligen Ding mit BSA -Doppelmotoren, fuhr er zwischen den Tavernen und Weingütern der näheren Umgebung hin und her. Auch die Gendarmeriestationen bekamen Besuch. Sobald er die nötigen Kontakte geknüpft hatte, handelte er die Verträge mit den Lieferanten in Thessaloniki neu aus. So konnte er der FIX -Brauerei binnen weniger Monate einen besseren Vertrieb in den Bergen und den Winzern direkten Zugang zu den besten Trauben anbieten. Er hatte die ersten Schritte auf einer Karriereleiter getan, die ihn zum Bürgermeister machen sollte.
    Bei einem seiner Besuche in der Provinzhauptstadt begleitete ihn Stella. Sie wollte ihre Freundin besuchen, und da der Weinhändler nichts dagegen hatte, ein Paar Arme um seine Taille zu spüren, bot er ihr an, sie mitzunehmen. Später besuchte er Efi dann allein, ausgerüstet mit einer Schweizer Motorradbrille aus Gummi, die mit einem elastischen Band versehen war. Es war ihm nicht entgangen, dass alle in Jannis und Efi ein Paar sahen. Als die Rekonvaleszentin ihn jedoch fragte, ob er denn neben seinen »Geschäften« auch noch Zeit für anderes habe, erkannte er, dass sie weniger ein Paar waren, als manche annahmen. Bei seinem dritten Besuch brachte er deshalb Blumen mit, beim vierten eine Tafel Schokolade und beim fünften Mal fragte er, ob sie Lust habe, eine Spritztour mit dem Motorrad zu machen. »Wir könnten zum Hafen hinunter fahren, eine Konditorei besuchen, was immer dir Spaß macht …«
    Efi hatte auf diesen Vorschlag gewartet. Tatsächlich war er ein Teil ihres Plans. Trotzdem war sie nervös. Als sie, statt die Arme um Tsoulas zu legen, ihre Hände auf seinen Hüften plazierte, achtete sie darauf, mit den Innenseiten der Knie nicht gegen ihn zu stoßen. Außerdem bat sie ihn, nicht zu schnell zu fahren, wodurch das Paar, das da durch die Stadt rollte, jeder auf seinem Sattel sitzend, stoisch wirkte – sie mit den Fingern auf dem Saum seiner Jacke, er die Händen um die Motorradgriffe geschlossen, als führen sie über Eierschalen. Als sie den Hafen erreichten, half Tsoulas ihr herunter. Niemand, der die beiden beobachtete, konnte entscheiden, ob sie nun Freunde oder Geliebte waren. Die Szene wiederholte sich, jedesmal mit größerer Selbstverständlichkeit, und als Efi entlassen wurde, kehrte sie, die Arme um die Taille des Weinhändlers geschlungen, auf dem Motorrad heim. Schmetterlinge und Pollen wirbelten durch die Luft. Trotz der überraschenden Beförderungsart sagte sie beim Absteigen nichts, woraufhin sich die ersten Augenbrauen hoben. Fortan sah man das Motorrad immer öfter nach Neochóri fahren.
    Eines Abends im April – aber warum sollen wir nicht das genaue Datum nennen? Kostas feierte in einer Taverne gerade seinen Geburtstag, so dass es der erste Tag des Monats gewesen sein muss – entdeckte man das Motorrad neben einem Feld. Der Mann, dem es ins Auge fiel, fasste den Motor an (noch warm), beschloss jedoch, lieber weiterzueilen, als er in der Dunkelheit halb erstickte Geräusche vernahm. Kostas seinerseits nahm an, dass seine Schwester die Feier verlassen hatte, weil sie die Gespräche über Poesie und Politik leid war. Aber schon bald lächelten ihn die Kunden auf dem Postamt unbegreiflich an. Als sie bemerkten, Efi könne ja das Motorrad nehmen, wenn sie ihn in der Kaserne an der türkischen Grenze besuchen wolle, ahnte er, dass sie etwas wussten, wovon er noch nichts ahnte.
    Im gleichen Frühjahr hatte Jannis etwas bei dem Weinhändler zu erledigen. Wie üblich roch es dort nach vergorenen Trauben und Petroleum. Tsoulas füllte gerade Ouzo aus einem Kanister ab. Als die Flasche voll war, spuckte er auf den Korken und drückte ihn hinein. Er schob das Behältnis dem Kunden zu, der grinste, als er entdeckte, wer eingetreten war. »Ich nehme an, du hast ihr die ganze Herrlichkeit

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